Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Sie wog meine Worte sorgfältig ab, doch sie war ebenfalls tough.
»Ist das alles?«, fragte sie.
»Haben Sie sich im Laufe Ihrer Untersuchung schon mal mit Harry Tangelo und Minnie Lesser befasst?«
»Sie wurden in Betracht gezogen«, antwortete Antoinette freimütig, »und als Verdächtige verworfen. Wir glauben, dass Zella in Verbindung mit Clay Thorn stand. Möglicherweise kennen Sie ihn auch.«
Thorn war der Wächter, der bei dem Raub exekutiert worden war.
»Harry und Minnie werden vermisst«, sagte ich, »und zwar seit kurz vor Zellas Prozess. Merkwürdig, finden Sie nicht?«
Ich sah den Argwohn in Lowrys Augen erwachen, und den Unmut, dass ich ihr etwas erzählen konnte, was sie noch nicht wusste.
»Welches Interesse haben Sie an den beiden?«, fragte sie.
»Ich arbeite für den Anwalt, der Zella rausgeholt hat.«
»Breland Lewis ist Ihr Anwalt, Mr. McGill. Er arbeitet für Sie.«
Das war für mich das Stichwort aufzustehen. Antoinette war aus unserem Wettkampf mit einem oder zwei Punkten Vorsprung hervorgegangen, doch ich hatte mehr über sie erfahren als sie über mich.
»Ich denke, ich gehe jetzt, Sonderermittlerin Lowry. Wenn ich in ein paar Stunden noch nicht am Empfang aufgetaucht bin, schicken Sie einen Suchtrupp los. Das ist ein verdammtes Rattennest hier.«
21
Im A-Train Richtung Uptown dachte ich über eineinhalb Prozent von fünfzig Millionen nach. Bis jetzt war Twill der einzige Mitarbeiter meiner Agentur, der in diesem Monat Geld in die Kasse brachte. Ich stand in dem überfüllten Waggon und hielt mich an einer Metallstange fest, als ich eine stark tätowierte Frau mit blau-pinkem Haar neben mir bemerkte. Sie war jung, weiß und blätterte auf ihrem iPad durch Bilder von nackten Frauen. In dem Moment, in dem ich kapierte, was sie machte, wandte sie mir das Gesicht zu und lächelte.
Ich dachte an LeRoi Jones’ Theaterstück Dutchman und das Insekt in der fleischfressenden Pflanze, das ich mir vorgestellt hatte, während ich auf Antoinette wartete. Ich erwiderte das Lächeln der jungen Frau und wandte mich ab. Irgendwas musste ich in meinen fünfundfünfzig Jahren schließlich gelernt haben.
Als ich in Gordos Boxstudio kam, gab sich der kupferfarbene Iran Shelfly gerade alle Mühe, dem Sandsack wehzutun. Er prügelte neben dem trüben Fenster mit Blick auf die 8th Avenue auf den mit Segeltuch bezogenen Baumwollballen ein. Ich beobachtete, wie der gut dreißigjährige Ex-Knacki Körpertreffer austeilte wie ein echter Profi. Ich hatte mir gewünscht, dass Iran fester Mitarbeiter meines wachsenden Unternehmens wurde, doch er hatte die Atmosphäre des Studios vorgezogen. Ich konnte es ihm nicht verdenken.
An diesem Nachmittag machten sich etwa ein Dutzend Männer und eine Frau warm. Das offizielle Training begann in einer Stunde.
»Hi«, sagte ich.
Iran hielt inne und wandte sich mir mit schweißüberströmter Stirn zu. Er trug ein enges gelbes T-Shirt und rote Shorts. Seine Hände waren bandagiert, doch er trug keine Boxhandschuhe. Sein Lächeln war ansteckend.
»Mr. McGill. Wie geht’s Ihnen?«
»Wenn ich mich beschweren würde, könnte jemand auf mich schießen.«
»Und das würde Sie bloß noch wütender machen.«
»In deiner Pension gibt es eine neue Mieterin«, sagte ich.
»Zella Grisham. Das Mädchen muss lernen, wie man lächelt.«
»Magst du sie nicht?«
»Sie ist in Ordnung. Wir haben ein bisschen geredet, aber wo auch immer sie herkommt, mit dem Kopf ist sie noch dort.«
»Ich hab ein besonderes Interesse an ihr. Ich will sie in Sicherheit wissen, aber ich möchte nicht, dass sie weiß, dass ich das will.«
»Was immer Sie sagen, Mr. McGill.« Iran glaubte, mir etwas schuldig zu sein. Als er aus dem Gefängnis entlassen worden war, hatte ich dafür gesorgt, dass er einen Job bekam, und jedes Mal, wenn er in irgendeine Klemme geraten war, hatte ich ihm einen Notausgang gezeigt. Iran war dankbar für meine Hilfe, und ich versäumte es, ihm zu erzählen, dass ich derjenige war, der ihn überhaupt erst in den Knast gebracht hatte.
»Danke. Wie läuft der Job?«
»Ich bin jeden Abend so müde, dass ich schon schlafe, bevor mein Kopf auf dem Kissen landet. Aber ich wache jeden Morgen mit einem Lächeln auf.«
Die Wahrscheinlichkeit sprach dagegen, dass ein Ex-Knacki es in einem ehrlichen Leben schaffte, doch wenn er den Kniff raushatte, war er der glücklichste Mensch auf der Straße.
Ich lächelte und ging zum hinteren Teil des sich über das ganze Stockwerk
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