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Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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Verfügung. Ich setzte mich neben sie, und sie umarmte mich.
    »Erzähl es mir«, forderte ich sie auf.
    Sie ließ mich los und versuchte, eine Beschäftigung für ihre Hände zu finden.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie schließlich, nachdem sie ihre zusammengepressten Handflächen zwischen die Knie geklemmt hatte.
    Sie trug einen karierten Rock und ein schwarzes T-Shirt, keine Strümpfe oder Socken und weiße Schwesternschuhe. Elsa war erst seit kurzem in den Vierzigern und sah immer noch jünger aus.
    »Gordo hat dir von seinem Besitz erzählt«, sagte ich.
    »Warum?«
    »Warum was?«
    »Warum hat er mich angelogen?«
    »Das hat er nicht.«
    »Er hätte es mir erzählen müssen, bevor wir zusammengekommen sind.«
    »Mag sein, aber das konnte er nicht – so viel ist sicher.«
    Ich sprach die Worte mit so viel Gewissheit aus, dass Elsa plötzlich aufmerksam wurde.
    »Warum nicht?«, fragte sie.
    »Du bist wahrscheinlich irgendwann in den Neunzigern bei deinen Eltern ausgezogen, oder?«
    »Was hat das damit zu tun?«
    »Als Gordo geboren wurde, steckte das Land in der Großen Depression«, sagte ich. »Damals besaß ein Schwarzer nie irgendwas, was ihm ein Weißer nicht wieder abnehmen konnte. Damals konnte man noch Schilder aufhängen, auf denen stand: ›Nur für Weiße‹.«
    »Und? Die Zeiten haben sich geändert.«
    »Stimmt, heute ist es anders. Wenn junge Menschen wie du die Welt betrachten, sehen sie Probleme, aber nicht so einen Schlamassel, wie Gordo ihn gesehen hat. Er hat früh gelernt, alles zu verschleiern und zu verstecken. Selbst ich wusste bis vor ein paar Minuten nichts von all seinen Besitztümern.«
    »Du? Aber du bist sein bester Freund.«
    »Du kannst ihn verlassen, Elsa, aber in einem kannst du gewiss sein. Er ist ein guter Mensch, und er liebt dich. Du bist der einzige Grund, warum er diesen Krebs überlebt hat. Und das wissen wir alle drei.«

22
    Ich ließ Elsa über diese prosaische und improvisierte Geschichtslektion grübelnd zurück.
    Eins weiß ich, Trot , hatte mein Vater einmal gesagt. Man kann nicht gleichzeitig eine Frau lieben und an der Revolution teilnehmen.
    Aber liebst du Mama nicht? , fragte ich ängstlich.
    Doch, das tue ich gewiss. Aber nicht, wenn ich für die Revolution kämpfe.
    Das verstehe ich nicht, Daddy.
    Wenn ich mit deiner Mutter zusammen bin , sagte er, ist sie das Einzige auf der Welt. Es gibt keine ökonomische Basis und keinen Klassenkampf. Wenn wir beide für uns sind, sind wir Mann und Frau – das ist alles .
    Das war einer der vielen Gesprächsfetzen, die seit Jahrzehnten in meinem Kopf herumlärmten. Als ich die Treppe hinunterging, wurde mir klar, dass ich nicht das daraus gelernt hatte, was mein Vater gemeint hatte. Er wollte mich zu einem besseren Soldaten machen, doch ich kam langsam und allmählich zu der Überzeugung, dass Menschen nicht nur von ihrer Arbeit und dadurch auch voneinander entfremdet waren, sondern dass sie auch deswegen voneinander entfremdet waren, weil ihre Leidenschaften sich an ihren Pflichten abnutzten.
    Bevor mir das klar wurde, hatte ich den Ausgang im Erdgeschoss erreicht. Eigentlich wollte ich noch im Studio vorbeischauen und Gordo erzählen, was passiertwar, aber auf der Schwelle zur Straße dachte ich, dass es im Grunde nichts zu sagen gab. Entweder würde Elsa ihn verlassen oder nicht. Wenn G nach oben ging, würde er es selbst herausfinden. Ich war seinem Wunsch nachgekommen und hatte mit ihr gesprochen, aber niemand konnte sagen, wie sie sich entscheiden würde.
    Ehe ich mich versah, lief ich in östlicher Richtung die 33 rd Street hinunter. Ich hatte Ärger, aber es war nicht zu schlimm. Rutgers würden mich wahrscheinlich ein bisschen unter Druck setzen, aber ich wusste mich zu wehren.
    Das Handy vibrierte an meinem linken Oberschenkel. Ich zog es aus der Tasche und sah, dass Aura mich anrief. Ich wollte das Telefon aufklappen, doch mein Daumen verweigerte den Dienst. Das Vibrieren stoppte, und das hellgrüne Display verblasste langsam wieder. Es war, als würde ich jemandem beim Sterben zusehen. Ich war mitten auf dem belebten Bürgersteig stehen geblieben und empfand so etwas wie Trauer über einen verpassten Anruf. Da leuchtete das Display wieder auf. Es war Aura.
    »Hallo«, sagte ich.
    »Warum bist du nicht drangegangen?«, fragte sie.
    Ich suchte nach Worten, doch mir fiel keine Lüge ein.
    »Was ist los, Babe?«, fragte ich.
    »Ich vermisse es, dass du mich Baby nennst.«
    Mir fielen nicht nur keine Lügen ein,

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