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Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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eines Reihenhauses aus braunem Sandstein, dessen Fenster mit Brettern vernagelt waren.
    Ich sage, er sah aus wie ein Obdachloser, weil er zwar die Kleidung und den Eindruck allgemeiner Verwahrlosung perfekt hingekriegt hatte, jedoch nichts machte – er schlief nicht und las nicht, er trank nicht und aß nicht, kramte weder ununterbrochen durch seine Habseligkeiten, noch wütete er endlos gegen irgendeinen imaginären Freund – oder Feind. Er hatte nicht einmal Habseligkeiten – keinen Rucksack oder Einkaufswagen voll mit den Dingen des täglichen Bedarfs und des Zeitvertreibs, die alle Menschen (ob obdachlos oder nicht) zum Überleben brauchen.
    »Was?«, fragte er und blickte aus klaren, furchtlosen Augen zu mir auf. Er war Mitte dreißig und unter der weiten Kleidung athletisch. In seiner rechten Vordertasche konnte ich die Umrisse eines Gegenstands ausmachen, bei dem es sich wahrscheinlich um eine Pistole handelte.
    »Lethford«, sagte ich.
    Seine Nasenlöcher weiteten sich.
    »Ey, Mann, verpiss dich«, erwiderte er.
    »Ich glaube, das würde Captain Kitteridge nicht gefallen.«
    Das Bündel grauer Klamotten kam auf die Beine, nicht wie ein gebrochener Mann, sondern eher wie ein Panther. Er bedachte mich mit einem harten Blick, bevor er zur Seite trat. Die Tür sah aus, als wäre sie ebenfalls mit Brettern vernagelt, doch ich musste nur dagegen stoßen, um sie zu öffnen.
    Der Flur war schmal und dunkel. An seinem Ende deutete ein fahler Schimmer die Möglichkeit von Licht an, ohne es notwendigerweise zu versprechen. Mit der linken Hand an der Wand entlangstreichend ging ich darauf zu. Am Ende des Flurs wandte ich mich nach links und fand mich am Absatz von etwas wieder, das vielleicht eine Treppe war. Zwei Silhouetten tauchten von beiden Seiten der kaum erkennbaren Stufen auf. Ein heller Lichtstrahl fiel mir ins Gesicht und blendete mich.
    »Wer sind Sie?«, wollte jemand wissen.
    »McGill für Lethford.«
    »Wozu?«, fragte der andere Mann.
    Ich riss ihm die robuste Taschenlampe aus der Hand und warf sie auf den Boden.
    »Was soll das, Scheiße noch mal?«, fragte einer von beiden.
    Über uns ging ein weiteres Licht an. Ich machte einen Schritt zurück, damit die beiden Schattenmänner mich nicht packen konnten. Sie trugen beide Zivilkleidung mit Dienstmarke und Holster am Gürtel. Der Mann auf der Linken, dem ich die Taschenlampe abgenommen hatte, sah ziemlich wütend aus. Er hatte schütteres kurzes Haar, und seine blau-grauen Augen blitzten wie Funken auf der Suche nach einem Brandbeschleuniger.
    »McGill?«, fragte eine Stimme von oben.
    »Ja, hier.«
    Ein sehr großer dunkelhäutiger Mann kam die Treppe bis zum ersten Absatz herunter. Als ich zu ihm aufblickte, erinnerte ich mich daran, wie Gordo mich vor dreißig Jahren überredet hatte, mit einem geborenen Schwergewicht in den Ring zu steigen. Der Typ hieß Biggie Barnes, und hatte Fäuste wie ein Amboss. Lass dich nicht von ihm treffen , war der einzige Rat, den Gordo mir gab, als der Gong zur ersten Runde läutete.
    »Kommen Sie«, sagte der große Mann.
    Ich stieg hinter dem Riesen vier Stockwerke hinauf, was mir bei meinem Fieber vorkam wie die Fahrt in einem schwankenden Boot. Beides zusammengenommen pflanzte ein Flackern der Angst in das Zentrum meiner Brust.
    Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre ich nicht zu einem unbekannten Ort gegangen, bloß weil Kit mich darum gebeten hatte. Er war mein Feind, mein Gegner, kein Freund. Aber ich war krank, verliebt und suchte nach Erlösung. Ich gehörte in die Behandlung von zwei Ärzten und einem Zen-Mönch. Stattdessen war ich in Brooklyn und hatte keinen echten Ausweg.
    Im vierten Stock gab es drei Türen. Vor einer hing ein dicker grüner Vorhang. Der große Mann schob den Stoff beiseite und ging hinein. Ich folgte ihm in einen großen Raum mit hellen Deckenlampen. Darin verstreut standen sechs Schreibtische, ohne Sinn und Verstand, auf jedem ein Monitor und davor ein Zivilbulle, der darauf starrte. Die Fenster waren mit dickem schwarzem Papier verklebt. Ich zählte ein Dutzend kleine Digitalkameras auf Trägern, die in unterschiedlicher Höher in die Mauereingelassen waren. Die Bilder wurden an die Monitore übertragen. Sie zeigten einen Club in der Pox Street, einer Parallelstraße der Pointdexter Street. Schwarze Männer und Frauen, viele mit Rastalocken, betraten oder verließen den Laden. Ich war auf meinem Weg zu dem Treffen an dem Club vorbeigekommen, weil ich einmal um den Block gegangen war, bevor

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