Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Stammkunden, damit ich mehr Zeit mit Thackery und Tamara verbringen kann.«
Es war schwer, sich Hush als Familienmenschen vorzustellen, obwohl ich mehr als ein halbes Dutzend Mal in seinem Haus zu Gast gewesen war. Es schien sowohl unlogisch als auch ungerecht.
»Lust, mich abzuholen und mit mir an den Strand zu fahren?«, fragte ich.
»Okay.«
»Hallo«, sagte Katrina.
»Hallo, Babe«, erwiderte ich und hätte mir dafür, Katrina und Aura mit den gleichen Worten begrüßt zu haben, beinahe auf die Zunge gebissen.
»Leonid.« Sie klang erleichtert. »Wo bist du?«
Ich war nur vier Blocks entfernt, doch ich sagte: »In Brooklyn. Ich setze einen Zeugen für Breland ab.«
»Ist das sicher?«
»Ja … sehr.«
»Ich bleib auf, bis du kommst.«
Siebzehn Minuten später fuhr Hush in einer schwarzen Lincoln-Limousine vor. Ich stieg neben ihm ein. Er trug dunkle, aber keine schwarze Kleidung – schokoladenbraune Jeans und ein dunkelblaues T-Shirt. Sein braunes Haar funktionierte an sich als Tarnung. Ich hatte ihm nicht gesagt, dass wir in einer ernsten Geschäftsangelegenheit unterwegs waren – er wusste es einfach.
Während wir über den West Side Highway fuhren, erläuterte ich ihm die Sache mit Zella und die Komplikationen, die sich daraus ergeben hatten. Er hörte zu, nickte und fuhr. Es ging durch den Tunnel an der Südspitze Manhattans und weiter auf dem Gowanus Expressway Richtung Süden.
»Warum hast du die schlafenden Hunde nicht schlafen lassen?«, fragte er, als wir uns dem Belt Parkway näherten.
»Du meinst, ich hätte Zella im Gefängnis verrotten lassen sollen wegen etwas, das sie nicht getan hat?«
»Sie hat auf ihren Mann geschossen.«
»Das allein wäre nicht so schlimm gewesen. Ich meine, sie war unzurechnungsfähig, verrückt.«
»Es war verrückt, sie aus dem Gefängnis zu holen.«
»Ja, aber …«
»Aber was?«
»Ich weiß nicht. Manchmal wach ich frühmorgens auf und denk an die Leute, denen ich Unrecht getan habe. Einige von ihnen, die meisten, waren von Anfang an ziemlich böse. Damit kann ich leben. Aber Menschen wie Zella … Ich meine, wozu soll das Leben gut sein, wenn man nicht wieder aufstehen kann?«
»Das machen Boxer, richtig?«
»Was?«
»Sie werden niedergeschlagen und stehen wieder auf.«
»Ja. Wenn man noch nie auf die Bretter geschickt wurde, war man nie in einem Kampf.«
25
Die Sonne war verschwunden, als Hush in einer Nebenstraße fünf Blocks von der Adresse entfernt parkte, die Luke Nye mir genannt hatte. Es war ein quadratisches Haus mit pinkfarbenem Stuck und einem Flachdach in der Nähe des Ozeans in einem heruntergekommenen, aber stillen Teil von Coney Island. Die Haustür war von einem Windfang geschützt, und als niemand auf unser Klopfen reagierte, knackte ich das Schloss mit meinem Werkzeug – dünne Baumwollhandschuhe hatten wir schon übergestreift. Als wir das Haus betraten, sog Hush als Erstes die abgestandene Luft ein.
»Hm«, sagte er.
Es war ein kleines, unpersönliches Heim. Im Wohnzimmer stand eine Couch auf kurzen Holzbeinen, auf dem Boden lag ein billiger brauner Kunstfaserteppich. Es hätte ein Motelzimmer an der Küste von New Jersey sein können – 1957.
Im Schlafzimmer standen ein ungemachtes französisches Bett, eine Kommode mit drei Schubladen und ein Stuhl aus Ahornholz. Diverse Hosen, Hemden, Schuhe und Socken waren auf dem Boden verstreut. In den Ecken hatten sich Wollmäuse gesammelt, und auf der Bank vor dem vergitterten Fenster sah ich drei Kakerlaken ihre Fühler reiben. Im Spülbecken in der Küche stand dreckiges Geschirr in grauem Wasser. Dort trafen sich die Schaben in größerer Zahl.
»Guck mal«, sagte Hush.
Am Ende des Küchentresens war eine Tür, in den Spalt darunter waren zwei oder drei leere Mülltüten gestopft.
»Daher kommt der Geruch«, fügte Hush hinzu.
»Welcher Geruch?«
Anstatt zu antworten, gab der Profikiller im Ruhestand mir ein blaues Taschentuch, das er aus seiner Gesäßtasche gezogen hatte. Für seinen Mund und die Nase hatte er ein gelbes. Als er die Tür aufriss, schien der Raum unvermittelt von giftigem Gas erfüllt. Die Kakerlaken erstarrten kurz und strebten dann auf den Gestank zu. Wir auch.
Zwischen Waschmaschine und Trockner saß an einen Stuhl gefesselt Durleth »Stumpy« Brown. Seine vormals rosafarbene Haut war grau, sein schwabbeliges Gesicht zu einer Maske erstarrt. Meine Augen brannten von den Gasen, die sein Körper verströmte.
Mit drei Fingern der linken Hand
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