Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
ich mich der Nummer 26 näherte. Die Mitglieder der Straßengesellschaft klangen wie Jamaikaner. Sie wirkten ziemlich tough.
»Dealer«, sagte der große Mann, als er meinen Blick bemerkte.
»Sind Sie Lethford?«
»Kommen Sie in mein Büro.«
Diesmal führte er mich durch eine richtige Tür in einen kleineren Raum mit zwei Klappstühlen aus Holz und einem pfauenblauen Telefon auf einem Kieferboden. Er schloss die Tür hinter uns.
»Setzen Sie sich«, sagte er in einem Tonfall, der weder freundlich noch feindselig war.
Der große schwarze Mann trug ein kurzärmeliges schwarzes Hemd, eine schwarze Baumwollhose und schwarze Schuhe. An seinem rechten Knöchel lugte ein weißer Socken hervor.
»Und«, begann er, »wissen Sie, warum ich Sie sehen wollte?«
»Wer sind Sie, Mann?«
Er biss sich auf die Unterlippe und brachte sich so dazu, mich nicht zu ohrfeigen. Der Polizist hatte ein langes Gesicht und fast keine Haare bis auf ein paar weiße Stoppeln am Kinn. Er war etwa in meinem Alter, und das Weiß seiner Augen war nicht mehr weiß.
»Captain Clarence Lethford«, sagte er. »Sonderdezernat.«
»Hm.«
»Wissen Sie, warum ich Sie sehen wollte?«
»Wenn Sie mich wie einen Lehrling behandeln, kommen wir nicht weiter«, sagte ich. »Ich bin hier, weil Carson Kitteridge mich darum gebeten hat. Also, wenn Sie was zu sagen haben, dann sagen Sie es.«
Große Männer werfen schon jung ihr Gewicht in den Ring, und irgendwann gehen sie davon aus, es sei ihr gottgegebenes Recht. Es ist gut, wenn hin und wieder ein kleiner Typ wie ich diese Selbstgewissheit stört.
»Ich erwarte ein wenig Höflichkeit von Ihnen, Mr. McGill.«
»Darum geht’s? Denn wissen Sie, die höchste Form der Höflichkeit ist Abwesenheit. Wenn ich nicht hier bin, kann ich Sie nicht beleidigen.« Ich stand auf.
»Setzen Sie sich.«
»Sie können mich mal.«
Das war der Moment, zu dem wir hatten kommen müssen. Er würde mich entweder schlagen, gehen lassen oder zur Sache kommen.
»Ich war der leitende Verbindungsmann des NYPD bei der Ermittlung des Raubüberfalls auf Rutgers«, sagte er.
Ich setzte mich wieder.
»Ich habe an dem Fall gearbeitet«, fuhr er fort, »bis Zella Grisham wegen Mittäterschaft angeklagt wurde.«
»Oh.« Ich schlug das rechte Bein über das linke und verschränkte meine groben Finger über dem Knie. Das erinnerte mich an Mirabelle Mycroft, deshalb ließ ich es wieder los.
»Ja«, pflichtete Lethford mir bei. »Oh.«
Ich glaube, er erwartete, dass ich das große Zittern kriegen und irgendwas gestehen würde. Es würde wohl mehr als einer Konfrontation bedürfen, um ihn von seinem Großer-Mann-Komplex zu heilen. Als er erkannte, dass ich nicht aus Stroh war, fuhr er fort.
»Man hat mich gebeten, mir den Fall noch einmal vorzunehmen, als Breland Lewis ihre Freilassung bewirkt hat. Als Erstes hab ich mir die Akte des Rechtsverdrehers vorgenommen und einen Verweis mit Ihrem Namen gefunden.«
»Er hat mich engagiert, um ihr beim Übergang ins zivile Leben zu helfen.«
»Kit sagt, Lewis sei Ihr Junge.«
»Und das heißt?«
»Das heißt, möglicherweise hatten Sie etwas mit dem Raub zu tun«, sagte Lethford und hielt seinen dicken linken Daumen hoch. »Es heißt, auch wenn die hohen Tiere sagen, wir sollen Sie in Ruhe lassen, werde ich Ihren Arsch hochkriechen, bis ich Gehirnmasse sehe. Es heißt, vielleicht habe ich mich bei Zella Grisham geirrt, und Sie haben sie womöglich rausgeholt, weil sie etwas weiß, was Ihre Rente vergoldet.«
Jedes Mal, wenn er »es heißt« sagte, präsentierte er einen weiteren Finger – nicht unbedingt in der richtigen Reihenfolge. Für die Rente reckte er den kleinen Finger.
»Nein, Captain«, sagte ich. »Das Einzige, was sich aus meiner Beteiligung an ihrer Freilassung schließen lässt, ist, dass sie das Verbrechen nicht begangen hat und die wahren Schuldigen noch frei herumlaufen.«
»Warum sollte man sie mit falschen Geldbanderolen zum Sündenbock machen?«, fragte er.
»Ich habe keine Ahnung«, beantwortete ich seine absolut vernünftige Frage mit einer Lüge. »Ich wurde beauftragt, meinen Beitrag zu leisten, um zu beweisen, dass sie nichts mit dem Raub zu tun hatte. Und das habe ich erreicht.«
»Sie haben Dreck am Stecken, Mr. McGill.«
»In dem Punkt herrscht allgemeine Übereinkunft«, stimmte ich ihm zu.
»Und ich bin derjenige, der Sie zu Fall bringen wird.«
»Das bringt uns zu dem Grund meines Kommens«, sagte ich. »Kitteridge sagte, ich könnte
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