Manhattan
Walter, »hätte ich den Wunsch haben sollen, Marta Marlund eine tödliche Dosis Schlaftabletten einzuverleiben?«
Zaif hatte geantwortet: »Das ist ja gerade, was ich nicht verstehe. Wenn ich ein Motiv hätte, würde ich Sie gleich festnehmen. Aber, so will es das alte Klischee: Verlassen Sie die Stadt nicht.«
»New York ist meine Stadt«, sagte Walter.
»Wegen Irving Berlin?«
»Cole Porter.«
»Wie auch immer. Verlassen Sie die Stadt nicht.«
Oh, das werde ich nicht, Detective Sergeant Zaif, darauf
können Sie Gift nehmen. Weil ich Ihren Verdacht teile, dass jemand Marta Marlund dabei geholfen hat, in ihren tödlichen Schlaf zu sinken. Und wenn das stimmt, hat jemand einen Grund dazu gehabt, und dieser Grund ist für mich höchst interessant.
Als Walter wieder zu Hause war, versuchte er Anne anzurufen, doch das Telefon läutete, bis sich der Auftragsdienst meldete. Er hinterließ ihr die Nachricht, sie möge zurückrufen, duschte und versuchte dann, ein paar Stunden zu schlafen.
In jener Nacht kam sein Traum nur in bruchstückhaften Bildern. In den lebhaftesten Szenen befand er sich jedoch nicht mehr auf der Klippe, blickte nicht mehr hinunter, sondern stand unten auf dem Felsblock. Er wurde vom Meer umspült. Die Leichen seiner Agenten wurden gegen den Felsen geschleudert, und die Woge erhob sich wie eine Wasserwand.
Sie kam direkt auf ihn zu.
SCRAPPLE FROM THE APPLE
Sonntag, 28. Dezember 1958
Football, dachte Walter Withers, als er sich fertig rasiert hatte, ist das amerikanische Spiel schlechthin.
Baseball mag der amerikanische Zeitvertreib sein, doch Football ist der wahre Sport der Nation. Die Amerikaner mögen ihre Zeit bei dem sanften, lässigen Rhythmus von Baseball verbringen, träge bei einem Bier und einem Hot Dog im Park sitzen oder im Halbschlaf dem Plärren einer Rundfunkübertragung lauschen – erst beim Football können sich die amerikanische Psyche, die amerikanische Energie und die amerikanische Leidenschaft für den Kampf austoben.
Baseball ist ein Spiel, das unter einem warmen und sonnigen Himmel stattfindet, Football ist ein Wettkampf, der selbst beim rauesten Wetter ausgetragen wird. Die Baseball-Saison beginnt mit der ersten Wärme des Frühlings und endet im sanften Zwielicht des Frühherbstes. Die Football-Saison beginnt in der kühlen Herbstluft und endet unter dem gnadenlos kalten Winterhimmel. Football wird bei Regen, Schnee und Kälte gespielt, und die Fans müssen zumindest diese Herausforderung annehmen. Während der Baseball-Fan sich bequem in seinem Sitz zurücklehnt und das Gesicht in die Sonne hält, an seinem Bier nippt, steht der Football-Fan dicht gedrängt, Schulter an Schulter mit den anderen Football-Anhängern und lässt eine Flasche Schnaps gegen die Kälte her
umgehen. Der Football-Fan ist kein Schönwetter-Soldat, sondern ein Winter-Patriot.
Baseball ist ein Spiel, in dem Können und Eleganz gefordert sind. Football ist ein Wettkampf, bei dem die Willenskraft entscheidet.
Vielmehr die Willenskraft der Mannschaft, korrigierte er. Während Baseball darauf angelegt ist, den einzelnen in einer Reihe von Konfrontationen mit einem anderen einzelnen auf die Probe zu stellen – wobei die gelungene Koordination des mehrschichtigen Doppelspiels eher die Ausnahme als die Regel ist –, unterwirft Football den kampfeslustigen amerikanischen Individualismus einem gemeinsamen Ziel oder, genauer, den Torpfosten. Jeder Mann hat seine Rolle, jeder ist von anderen abhängig. Das Teamwork wird, wie der wahre Kenner weiß, durch die Offensive Line versinnbildlicht, die anonym und unbesungen bleibt. Die Stürmer mühen sich in einem scheinbar brutalen Chaos ab, doch in Wahrheit handelt es sich um brutale Präzision, die ein makelloses Timing und den richtigen Rhythmus verlangt. In der Offensive Line, dachte Walter, liegt die Essenz des Football, die Essenz des Landes.
Ja, er grinste in den Spiegel, Baseball ist der nationale Zeitvertreib, dessen Zeit vorbei ist. Baseball ist das Spiel der Farmer, Football das Spiel der Fabrikarbeiter. Baseball ist ein Spiel für Friedenszeiten, Football ein Spiel für den Krieg. Auch für den Kalten Krieg, dachte Walter. Weil wir nie wieder wirklich Frieden haben werden.
Er wusch sich den Rasierschaum vom Gesicht, rieb sich Old Spice auf die Wangen und holte seinen besten Sonntagsanzug für das Footballspiel aus dem Schrank. Ein frischgestärktes weißes Hemd auf der Haut zu haben belebte ihn mehr als die lächerlichen drei Stunden
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