Mann im Dunkel
ausmachen, dich ein wenig genauer auszudrücken?
Über unser erstes Ziel kann ich dir nichts sagen. Das soll eine Überraschung werden. Aber morgen fahren wir nach Vermont.
Vermont … Das heißt Brill. Du bringst mich zu Brill.
Du kapierst schnell, Owen.
Das bringt nichts, Virginia. Ich habe ein Dutzend Mal daran gedacht, dorthin zu fahren, aber ich habe keine Ahnung, was ich ihm sagen soll.
Sag ihm einfach, er soll aufhören.
Das wird er niemals tun.
Wie kannst du das wissen, wenn du es nicht wenigstens versuchst?
Weil ich es eben weiß.
Du vergisst, dass ich dich begleiten werde.
Was macht das für einen Unterschied?
Ich habe dir doch schon gesagt, ich arbeite nicht für Frisk. Was glaubst du, von wem ich meine Befehle bekomme?
Woher soll ich das wissen?
Na los, Corporal. Denk nach.
Doch nicht von Brill.
Doch, von Brill.
Das ist unmöglich. Er ist auf dieser Seite, und du bist auf der anderen. Ihr könnt unmöglich miteinander kommunizieren.
Schon mal was von Telefonen gehört?
Telefone funktionieren nicht. Ich habe es in Wellington versucht, ich habe in meiner Wohnung in Queens angerufen, und da hieß es, kein Anschluss unter dieser Nummer.
Es gibt solche und solche Telefone, mein Freund. Wenn man bedenkt, welche Rolle er bei alldem spielt glaubst du, Brill hätte nicht eins, das funktioniert?
Also redest du mit ihm.
Ständig.
Aber ihr habt euch noch nie gesehen.
Richtig. Morgen ist der große Tag.
Und was ist mit heute? Warum besuchen wir ihn nicht heute?
Weil wir für morgen verabredet sind. Und bis dahin haben du und ich andere Pläne.
Deine Überraschung …
Du sagst es.
Wie lange müssen wir noch fahren?
Weniger als eine halbe Stunde. In etwa zwei Minuten werde ich dich bitten, die Augen zu schließen. Du darfst sie erst wieder aufmachen, wenn wir angekommen sind.
Brick spielt mit, unterwirft sich mit Freuden ihren kindlichen Launen, und so sitzt er während der letzten Minuten der Fahrt schweigend da und versucht zu erraten, was sie wohl für ihn auf Lager haben mag. Würde er sich besser in Geographie auskennen, wäre er vielleicht schon lange vor ihrer Ankunft auf die Lösung gekommen, aber da er von Landkarten nur sehr wenig versteht und nie zuvor in Worcester, Massachusetts, gewesen ist (nur im Traum hatte er sich dorthin versetzt), ist er, als das Auto anhält und Virginia ihm sagt, er könne die Augen wieder aufmachen, überzeugt davon, wieder in Wellington zu sein. Das Auto steht vor demselben Vorstadthaus, in das sie vorigen Monat gegangen sind, vor derselben Stuckvilla mit dem üppigen Vorgarten, den Blumenbeeten und den großen blühenden Büschen. Als er jedoch die Straße hinuntersieht, findet er die Nachbarhäuser alle unversehrt. Keine verkohlten Mauern, keine eingestürzten Dächer, keine zerborstenen Fenster. Der Krieg ist noch nicht bis in diese Straße vorgedrungen, und als Brick sich langsam um die eigene Achse dreht, um die vertraute, aber so ganz andere Umgebung in sich aufzunehmen, platzt schließlich die Blase der Illusion, und er weiß, wo er ist. Nicht in Wellington, sondern in Worcester, wie die Stadt in der anderen Welt vormals hieß.
Ist das nicht wunderbar?, sagt Virginia, indem sie die Arme hebt und auf die unzerstörten Gebäude zeigt. Ihre Augen leuchten, und auf ihrem Gesicht breitet sich ein Lächeln aus. So war es hier früher, Owen. Vor den Kanonen … vor den Angriffen … bevor Brill angefangen hat, alles kaputt zu machen. Ich hätte nie gedacht, dass ich das noch einmal sehen würde.
Lassen wir Virginia Blaine ihren kurzen Augenblick der Freude. Lassen wir Owen Brick seine kleine Flora vergessen und Trost in Virginia Blaines Armen suchen. Lassen wir den Mann und die Frau, die sich als Kinder kennengelernt haben, an ihren erwachsenen Körpern wechselseitig Freude empfinden. Lassen wir sie zusammen ins Bett steigen und tun, was immer sie wollen. Lassen wir sie essen. Lassen wir sie trinken. Lassen wir sie noch einmal ins Bett gehen und tun, was immer sie mit jedem Zoll und jeder Öffnung ihrer erwachsenen Körper anstellen wollen. Das Leben geht schließlich weiter, auch unter den schmerzlichsten Umständen geht es weiter bis zum Ende, und dann hört es auf. Und auch diese beiden Leben werden enden, denn enden müssen sie – weder er noch sie werden es je nach Vermont schaffen, um mit Brill zu reden, da Brill womöglich schwach werden und aufgeben könnte, und Brill darf niemals aufgeben, denn er muss seine Geschichte weitererzählen, die
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