Mann im Dunkel
mich sein, weißt du noch?
Für dich und für deine Mutter.
Aber sie weiß doch schon alles. Ich nicht. Deswegen hatte ich mich so sehr darauf gefreut.
Wahrscheinlich hättest du dich gelangweilt.
Manchmal kannst du ein echter Blödmann sein, Grandpa. Ist dir das eigentlich klar?
Warum sagst du immer noch Grandpa zu mir? Deine Mutter nennst du schon seit Jahren nicht mehr Mom. Du warst noch auf der Highschool, als aus Mom plötzlich Mutter wurde.
Weil ich mich nicht mehr wie ein Kleinkind anhören wollte.
Ich nenne dich Katya. Du kannst August zu mir sagen.
Den Namen habe ich nie besonders gemocht. Auf dem Papier sieht er ganz okay aus, aber er lässt sich irgendwie nicht gut aussprechen.
Dann nimm was anderes. Wie wär’s mit Ed?
Ed? Wo kommt das denn her?
Keine Ahnung, sage ich und bemühe mich um einen möglichst schnoddrigen Tonfall. Iss mir grad so eingefallen.
Katya lässt ein entnervtes Stöhnen hören.
Entschuldige, sage ich. So bin ich nun mal. Ich bin mit einem Gen für blöde Bemerkungen zur Welt gekommen, ich komme einfach nicht dagegen an.
Du nimmst aber auch gar nichts ernst, wie?
Ich nehme alles ernst, meine Liebe. Ich tue nur so, als ob ich’s nicht täte.
August Brill, mein Großvater, zurzeit unter dem Namen Ed bekannt. Wie hat man dich gerufen, als du klein warst?
Meistens Augie. An meinen guten Tagen hieß ich Augie, aber die Leute haben mich auch mit ganz anderen Namen bedacht.
Ich kann mir das kaum vorstellen. Du als Kind, meine ich. Du musst ein seltsamer Junge gewesen sein. Bestimmt hast du die ganze Zeit gelesen.
Das kam erst später. Bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr habe ich mich ausschließlich für Baseball interessiert. Wir haben nichts anderes gespielt, bis in den November hinein. Dann ein paar Monate Football, aber Ende Februar ging es schon wieder mit Baseball los. Die alte Truppe aus Washington Heights. Wir waren so verrückt danach, wir haben sogar im Schnee gespielt.
Was war mit Mädchen? Erinnerst du dich an den Namen deiner ersten großen Liebe?
Natürlich. So etwas vergisst man nie.
Wie hieß sie?
Virginia Blaine. Ich habe mich im zweiten Jahr auf der Highschool in sie verknallt, und mit einem Mal war der Baseball vergessen. Ich begann Gedichte zu lesen, ich fing mit dem Rauchen an, und ich verliebte mich in Virginia Blaine.
Hat sie dich auch geliebt?
Ich war mir nie sicher. Ungefähr sechs Monate lang ging es hin und her, mal so, mal so, und dann ist sie mit einem anderen weggelaufen. Für mich brach eine Welt zusammen, das war mein erster großer Liebeskummer.
Dann hast du Grandma kennengelernt. Da warst du erst zwanzig, richtig? Jünger als ich jetzt bin.
Du stellst eine Menge Fragen …
Wie soll ich herausfinden, was ich wissen will, wenn du dein Buch nicht zu Ende schreibst?
Woher das plötzliche Interesse?
Das kommt nicht plötzlich. Ich denke schon seit langem darüber nach. Und als ich vorhin hörte, dass du wach bist, sagte ich mir: Das ist meine Chance. Deshalb habe ich an deine Tür geklopft.
An meiner Tür gekratzt.
Von mir aus. Gekratzt. Aber jetzt liegen wir hier im Dunkeln, und wenn du meine Fragen nicht beantwortest, werde ich in Zukunft keine Filme mehr mit dir anschauen.
Apropos, mir ist noch ein Beispiel zur Unterstützung deiner Theorie eingefallen.
Schön. Aber wir reden jetzt nicht von Filmen. Wir reden von dir.
Das ist keine sehr erfreuliche Geschichte, Katya. Sie ist voller deprimierender Details.
Ich bin ein großes Mädchen, Ed. Ich komme mit allem zurecht, was du mir auftischst.
Bist du dir sicher?
Deprimierend ist in diesem Zusammenhang nur eins, nämlich, dass du deine Frau betrogen und wegen einer anderen verlassen hast. Entschuldige, Alter, aber das ist in unseren Breiten doch gang und gäbe. Du meinst, damit werde ich nicht fertig? Das habe ich schon bei meinen eigenen Eltern durchgemacht und längst hinter mir.
Wann hast du ihn zum letzten Mal gesprochen?
Wen?
Deinen Vater.
Wen?
Nicht doch, Katya. Deinen Vater, Richard Furman, den Exmann deiner Mutter, meinen Exschwiegersohn. Red ein wenig mit mir, meine Kleine. Ich werde dir deine Fragen beantworten, versprochen. Aber jetzt sag mir einfach, wann du das letzte Mal von deinem Vater gehört hast.
Vor etwa zwei Wochen, glaube ich.
Habt ihr verabredet, euch mal zu treffen?
Er hat mich nach Chicago eingeladen, aber ich habe ihm gesagt, ich sei noch nicht so weit. Nächsten Monat, nach dem Ende des Semesters, will er übers Wochenende nach New York
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