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Mann meiner Sehnsucht (German Edition)

Mann meiner Sehnsucht (German Edition)

Titel: Mann meiner Sehnsucht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Last
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um und ging voraus. Es war sinnlos, Gabriel von seiner Familie fernhalten zu wollen. Er hatte es gewusst, aber er hatte einfach versuchen müssen, ihm den Anblick zu ersparen. Gabriel folgte ihm mit schweren Schritten. Vielleicht hatte Rafael sich geirrt. Vielleicht war es jemand anders, jemand … Seine Hoffnung erstarb, als er die reglosen Gestalten erblickte. Mit einem klagenden Laut sank er neben seiner Frau auf die Knie. Seine langen, schwarzen Haare fielen nach vorn und bedeckten sein Gesicht, sodass er nicht bemerkte wie Rafael dem Uniformierten, der auf ihn zuging, eine Hand auf den Arm legte und verneinend den Kopf schüttelte. Es war offensichtlich, dass sein Bruder keine Fragen zum Hergang des Überfalls beantworten konnte.
    Überall im Lager hörte man Schreie und Wehklagen, aber Gabriel vernahm es kaum. Seine zitternden Hände glitten unter den reglosen Körper seiner Frau, doch als er ihn anheben wollte, sank ihr Kopf haltlos nach hinten.
    Ihr Genick war gebrochen.
    Ihre Kleidung war zerrissen und blutig, und es war deutlich zu sehen, dass sie sich nicht kampflos in ihr Schicksal ergeben hatte. Ihr langes, schwarzes Haar, das er so geliebt hatte, war verschwunden – Beute eines Skalpjägers -, und Gabriel musste sich zwingen, den Blick nicht voller Entsetzen von “Geht mit den Wolkens” einst so liebreizenden, im Todeskampf jedoch grotesk erstarrten, blutüberströmten Zügen, abzuwenden. Er stimmte einen Totengesang in der Tradition des Volkes seiner Mutter an, als er den leblosen Körper seiner Frau an sich zog. Dann streckte er seine bebenden Hände nach den beiden Bündeln aus, die einmal seine Söhne gewesen waren. Ihre Köpfe waren kaum noch als solche zu erkennen.
    Ausgelöscht.
    Ihr Leben, ihre Zukunft, sein Glück – vernichtet. Zerstört in einem einzigen Augenblick. Er fühlte eine gähnende Leere in seinem Innern, einen seltsamen quälenden Schmerz, mit nichts vergleichbar, was er jemals zuvor gespürt hatte. Es fühlte sich an, als wäre mit seiner Familie auch ein Teil von ihm gestorben.
    Er hörte das Wehklagen der anderen, das Weinen der wenigen Frauen, die das Massaker überlebt hatten und die jetzt, nach der Rückkehr des Jagdtrupps, aus ihren Verstecken kamen. Er erwartete, dass sich jeden Augenblick seine eigenen Augen mit Tränen füllen würden, aber sie taten es nicht.
    “Es war Taggart”, hörte er wie aus weiter Ferne die Stimme seines Bruders. “Es tut mir leid, Gabriel, dass ich ihn nicht früher zur Strecke gebracht habe.” Rafaels bernsteinfarbene Augen, den seinen so ähnlich, schienen von innen heraus zu glühen, als er ihn anblickte und heiser schwor: “Aber ich werde nicht ruhen, ehe ihr Mörder zur Rechenschaft gezogen wurde. Ich werde nicht ruhen, mein Bruder, das schwöre ich bei ihrem Tod und bei meinem Leben.”
    Gabriel wusste, dass Rafael jedes seiner Worte ernst meinte. Er würde nicht ruhen und nicht rasten, ehe er die Mörder gestellt hatte und sie für ihr schändliches Verbrechen bezahlt hatten. Er konnte die Schuldgefühle seines Bruders, die Marodeure nicht aufgehalten zu haben, beinahe körperlich spüren, aber er hatte nicht die Kraft, ihm zu versichern, dass er ihn nicht für den Tod seiner Familie verantwortlich machte. Er selbst war es gewesen, der versagt hatte. Er war es gewesen, der nicht da gewesen war, um sie zu beschützen. Er war auf einem Jagdausflug gewesen, hatte mit seinen Freunden gescherzt und gelacht, anstatt hier bei ihnen zu sein und sie zu verteidigen.
    Langsam erhob er sich. Der erkaltete Körper seiner Frau entglitt seinen Armen.
    “Ich werde dir helfen”, sagte Rafael, aber Gabriel schüttelte den Kopf.
    “Nein”, stieß er heiser hervor und schloss die Augen. “Es ist meine Aufgabe, sie zu ihrer letzten Ruhe zu betten, damit sie den Frieden finden können, den sie verdienen.” Tief atmete er durch, aber seine Lunge fühlte sich an wie zugeschnürt. Seine Beine waren schwer wie Blei, als er in die Mitte des Lagers ging, das auf so unfassbare und schreckliche Weise fast vollständig zur Begräbnisstätte geworden war. Dieser Ort würde niemals wieder ein Ort der Lebenden sein. Überall errichteten die Krieger bereits Gerüste, auf denen die Toten ihre letzte Ruhe finden sollten, ehe sie den Weg zum Großen Geist antraten.
    Wie in Trance schloss Gabriel sich ihnen an. Er fiel mit ein in den Totengesang, aber während er überall um sich herum die Zeichen tief empfundener Trauer vernahm, fühlte er gar nichts bis auf

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