Mann meiner Sehnsucht (German Edition)
verfangen, und schwangen nun in der leichten Brise, die durch die Tür hinein drang, wie von Geisterhand bewegt hin und her. Das Rascheln unter den Fußbodenbrettern ließ vermuten, dass Mäuse oder größeres Getier sich ihre Bauten unter den Hohlräumen angelegt hatte, aber das würde sich schon ändern. Ebenso wie der muffige Geruch nach altem Holz und abgestandener Luft, der lange unbewohnten Holzbauten anhaftete.
Der Raum, in dem sie standen, war ein reiner Wohnraum. Seltsamerweise gab es keine Schlafstatt. Ein Durchgang führte neben dem großen, aus Felsbrocken gebautem Kamin in den hinteren Bereich der Hütte. Hinter diesem Durchgang befand sich ein kleinerer Raum, von dem eine Tür nicht direkt nach draußen, sondern in einen angebauten Verschlag, einen Stall, führte, wo die Tiere relativ komfortabel untergebracht werden konnten. Selbst bei Schnee und Eis musste man so nicht die Hütte verlassen, um sich um die Tiere zu kümmern. Eine mit einem zerschlissenen Vorhang abgetrennte Nische enthüllte eine schmale Pritsche. Die Decke, jetzt von Mäusen zerfressen, hatte einmal ordentlich zusammengefaltet am Fußende gelegen. Auch hier war alles dick von Spinnweben überzogen.
“Das war mein Bett”, hörte Gabriel Hope sagen, die leise neben ihn getreten war. “Durch die Tür”, sie deutete nach rechts, wo eine aus rohen Ästen gezimmerte Tür den Durchgang versperrte, “geht es in Großvaters Schlafzimmer.”
Gabriel stemmte sich gegen die Tür, die sich nur widerwillig öffnen ließ. “Wie hieß Ihr Großvater eigentlich?”, wollte er wissen, während er den dahinter liegenden, direkt in den Fels gehauenen Raum betrat. Er wandte sich um, als Hope nicht antwortete. Er sah ihren ratlosen Gesichtsausdruck und wusste plötzlich, dass sie darüber nachdenken musste.
“Lukas”, sagte sie dann schließlich, mit zitternder Stimme. “Lukas Granger.” Sie klang so erleichtert, dass der Name ihr eingefallen war, dass Gabriel beinahe befürchtete, sie würde in Tränen ausbrechen. Verzweifelt sah sie ihn an. “Wie konnte ich auch nur für einen Moment seinen Namen vergessen?”, fragte sie. “Wie ist das nur möglich? Er war mein Großvater. Ich habe ihn geliebt. Ich…” Schluchzend brach sie ab. Gabriel zögerte einem Augenblick, ehe er sie tröstend in seine Arme zog.
“Sie waren noch ein kleines Mädchen, Hope. Und er war ihr Großvater. Also nannten sie ihn doch sicher nicht beim Namen. Da ist es nicht verwunderlich, dass sie seinen richtigen Namen vergessen haben.”
Hope trat einen Schritt zurück und sah ihn finster an, als wären seine Worte eine Beleidigung gewesen. Wütend wischte sie sich dann die Tränen aus dem Gesicht. “Aber ich habe mir geschworen, ihn nie zu vergessen. Und jetzt wusste ich beinahe nicht einmal mehr, wie er heißt! Was für eine Enkelin bin ich?”
Schweigend sah Gabriel das Mädchen vor sich an. Die Tränen hatten helle Spuren in ihr von der Fahrt Staub bedecktes Gesicht gewaschen. Ihre Augen glänzten und ihre schmalen Schultern zitterten.
“Sie sind eine Enkelin, die ihren Großvater so sehr geliebt hat, dass sie sogar bereit ist, seinen Traum weiterzuleben. Warum sonst sind Sie hier? Hope, wie einfach wäre es für Sie gewesen, einfach davonzulaufen. Cummings hätte Sie weder aufhalten noch finden können. Sie hätte ihm als Gegenleistung für Ihre Freiheit die Lage der Mine ihres Großvaters verraten können. Aber Sie haben es nicht getan. Sie sind dort geblieben, haben sich quälen lassen, nur um sich dieses Andenken an Ihren Großvater zu erhalten. So eine Enkelin sind Sie, Hope. Eine liebevolle und loyale Enkelin, die jahrelang mehr oder weniger allein um ihr Überleben kämpfen musste. Sie hatten keine Andenken, keine Fotos, keine Tagebücher und dennoch haben Sie sogar den Weg zur Mine wieder gefunden, so wie Ihr Großvater es Ihnen beigebracht hat. Ich glaube nicht, dass Sie sich Vorwürfe zu machen brauchen.”
Damit wandte er sich abrupt um und ging hinaus. Hope sah ihm verwundert nach.
Staub wallte aus der Eingangstür als Gabriel zwei Stunden später von einem Rundgang durch das Gelände um die Mine zurückkehrte. Mit einem Strohbesen, der wie fast alles innerhalb der Hütte auch schon bessere Zeiten gesehen hatte, war Hope eben dabei, den Schmutz der letzten zehn Jahre hinauszufegen. Sie hatte die Fensterläden geöffnet, sodass ein wenig mehr Licht in den Raum fiel. Die geölten Häute, die ihr Großvater anstelle von Fensterglas in die
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