Mann mit Anhang
Goggi, das Baby, die Firma, das Haus, Angelika Kurz, Jacky,
Fräulein Muhr. Und ein Leben voll verpaßter Gelegenheiten. Und die Erinnerungen
an Jeannette. »Nicht direkt verheiratet, aber sogut wie.«
»Schade.« Sie schnitt ein
gelangweiltes Gesicht. »Wenn Sie richtiggehend verheiratet gewesen wären, hätte
ich mich für manche Hiebe des Lebens etwas revanchiert. Ich hätte gern mal eine
Ehe zerstört.«
Ronald blickte sie aufmerksam
an. Diese jungen Dinger, die so pathetische und unendlich dumme Sachen sagten!
Er kannte diese Art von Goggi und ihren Freunden. Maulheldentum der jungen
Generation. Es war zu allen Zeiten dasselbe. »Es tut mir leid, daß ich Ihnen
dieses Vergnügen nicht vermitteln kann. Ich bin aber tatsächlich nicht
verheiratet.« In diesem Augenblick machte sie einen ungeschickten Schritt und
brach fast zusammen, aber er fing sie auf. Einen Moment lag sie in seinen
Armen. Ihr Gesicht war ihm mit einem verzweifelten Lächeln zugewandt.
»Ich habe mir den Fuß verknaxt.
Das kommt öfter vor. Diese verdammte Hüftspanne, an der so viel herumgedoktert
wurde!« Während sie sprach, zerrte sie aus der Tasche ihres Leinenkleides eine
elastische Binde, kniete nieder und begann ihren Knöchel zu bandagieren.
»Lassen Sie mich das machen.
Ich kann das wunderbar«, sagte Ronald.
»Sind Sie Arzt?«
»Autodidakt. Seelenarzt und
Geraderichter für verbogene junge Mädchen. Und Sanitäter für kleinere Unfälle.«
Sie machte eine schroffe
Bewegung mit dem Kinn. »Sie glauben wohl, ich gefalle mir in der Rolle eines
verbogenen Mädchens.«
»Sicher. Wahrscheinlich
gefallen Sie aber anderen Menschen nicht in dieser Rolle. Am wenigsten
vielleicht Ihren Eltern.«
»Eltern habe ich nicht. Ich
habe nur einen Vater und eine Mutter. Das ist nämlich ein großer Unterschied.
Mein Vater packt mich in Dollarnoten ein und glaubt, dabei läge ich weich und
warm. Meine Mutter hat sich nie viel um mich kümmern können. Sie hatte mit
ihren diversen Ehen zu tun.«
Es brach wie eine Sturzflut
lang zurückgedrängten Zornes aus ihr hervor. »Niemand weiß, wie sehr ich
verpfuscht bin und wie ich unter dieser elenden Hüftsache leide. Und unter so
vielem anderen. Ich habe einen Haufen Geld, jawohl, schön. Aber ich hatte nie
jemand, bei dem ich wirklich zu Hause war. Wenn ich meine Mutter nicht von Zeit
zu Zeit durch irgendwas schockierte, käme sie nie auf den Gedanken, nach mir zu
sehen. Ich lebe ohne besondere Hoffnungen und Erwartungen.«
»Sie können sich das leisten,
Sie sind noch sehr jung und haben genug Zeit, Ihre Ansichten zu revidieren.
Wenn Sie schon darauf trainieren, unglücklich zu sein, seilten Sie auch einmal
versuchen, einen glücklichen Tag zu verbringen. Einen pro Jahr vielleicht. Ist
das zuviel?«
»Mit wem denn?«
»Mit mir zum Beispiel. Wir
fangen heute abend an und hören morgen abend auf. Das sind ungefähr fünfzehn
Stunden.«
»Ein Tag hat aber 24 Stunden.«
»Schon. Aber er hat auch eine
Nacht, und Sie werden acht Stunden schlafen. Schlaf tut Ihnen sicher gut. Ich
wette, Sie haben hübsche Träume, Sie sehen mir ganz danach aus.«
»Ich kann nicht schlafen.«
»O doch. Ich werde Sie so
langweilen, daß Sie froh sind, ins Bett zu kommen und zu schlafen.« Er faßte
sie sanft am Ellenbogen. »Versuchen Sie mal aufzutreten. Na?«
»Es geht.« Sie preßte die
Lippen zusammen.
»Sie sind sehr tapfer. In
mancher Beziehung«, fügte er hinzu, »nur in einem wesentlichen Punkt sind Sie
feig: warum wollen Sie sich von MacCrowley nicht lieben und verwöhnen und gängeln
lassen? Er hat ein kluges Gesicht und verdammt gute Augen. Übrigens bin ich von
ihm nicht abgesandt. Ich kannte ihn vor ein paar Stunden noch gar nicht. Wir
kamen über ein paar Liter Benzin ins Gespräch.«
»Ich werde nicht auf den Ifach
gehen können, mein Fuß tut zu weh«, sagte sie kleinlaut. »Ich dachte, ich
könnte es erzwingen, aber es geht nicht.«
»Dann setzen wir uns hin und
klettern nur mit den Augen hinauf. Das spart Kraft und Zeit. Ich bin schon oben
angelangt.«
Er stützte sie immer noch. Ihr Ellenbogen
lag in seiner Hand, weich und rund und warm. Es war ihm, wie wenn Goggi an
seiner Seite wäre. Oder war es Jeannette vor ewigen Zeiten?
Sie setzten sich an eine
Stelle, wo sie den Blick weit ins Land und über das Meer hinaus hatten. Das
Meer war von seiner abendlichen Unruhe befallen, keine nervöse, sondern eine
sehr sanfte und rhythmische Unruhe. Es schickte die Wellen mit kleinen
Schaumkrönchen
Weitere Kostenlose Bücher