Mann mit Anhang
soir, ma petite, comment allez-vous?«
Er sagte es ohne eine besondere
Hoffnung auf Erfolg.
Aber das düstere Gesicht des
Mädchens erhellte sich plötzlich. »Ca va, monsieur, merci.« Sie lächelte und
ging dann in die deutsche Sprache über. »Und Ihnen? Geht es Ihnen hoffentlich
auch gut?«
»Woher wissen Sie, daß ich
Deutscher bin?«
Sie funkelte ihn an. »Ich sehe
es Ihnen an. Und außerdem haben Sie vorhin mit Ihrem Hund deutsch gesprochen.«
Wenn sie lachte, rümpfte sie
die kurze Nase ein klein wenig. Ronald starrte sie an. »Ich glaube, ich schulde
Ihnen eine Erklärung. Wissen Sie, warum ich Sie angesprochen habe?«
»Ja.«
Sie zog die Oberlippe spöttisch
über die hübschen, weißen Zähne. Diese Art, eine kleine Bosheit einzuleiten,
war ihm nicht fremd. Jeannette hatte ihren kleinen Niederträchtigkeiten genau
dasselbe schadenfrohe Lächeln vorausgeschickt. »Ich erinnere Sie an jemand,
nicht wahr?«
»Sie werden es mir nicht
glauben, aber Sie erinnern mich tatsächlich an jemand.« Er strich sich mit der
Hand über das Haar und spürte eine eitle Genugtuung, daß es noch voll war. »Es
liegt sehr, sehr weit zurück«, murmelte er.
Aus ihrem trägerlosen weißen
Leinenkleid wuchs schlank und braun der Hals. Ronald sah die kleine Mulde des
Brustansatzes. Es war ein reizvoller Anblick. Mußte man sich als Großvater
schämen, wenn man Freude an so etwas hatte? Er schüttelte unwillig den Kopf,
als hätte ihn jemand zur Rechenschaft gezogen.
»Steigen Sie mit mir auf den
Ifach?« fragte sie und wandte das Gesicht dem trotzigen Felsbrocken zu.
»Wann? Morgen?«
»Nein, jetzt gleich. Ich traue
den Dingen nicht, die morgen sind.«
Er dachte an den
quietschvergnügten Nico Zwo, der es gewohnt war, daß sein Großvater abends mit
ihm tollte und ihm auf allen vieren nachkroch. »Ich schätze, daß man zwei
Stunden bis zum Gipfel braucht. Ist es nicht schon etwas spät für heute?«
fragte er zögernd.
»Es sind anderthalb Stunden,
ich weiß es. Ich gehe jeden Abend hinauf. Ich möchte aber ungern allein gehen.«
»Mit wem sind Sie denn sonst
hinaufgegangen?«
»Wenn ich Ihnen sage, mit einem
indischen Maharadscha, werden Sie es mir nicht glauben. Und wenn ich sage, mit
John MacCrowley, so sagt Ihnen das gar nichts.« Sie hatte sich mit einem
ärgerlichen Ruck von dem Boot abgestoßen und ging durch den hellen, weißen
Sand.
Ronald sah, daß sie das linke
Bein etwas nachzog. Die Behinderung schien aus der Hüfte zu kommen. MacCrowley?
Das war doch der junge Schotte, dem er mit Benzin ausgeholfen hatte? Der auf
die kapriziösen Frauen so geflucht hatte?
»Ich finde ihn außerordentlich
sympathisch. Warum haben Sie ihn eigentlich weggeschickt?« fragte er.
»Oh, Sie kennen ihn?«
Er weidete sich an ihrer
Verwirrung. »Sie sollten mit einem Mann wie MacCrowley nicht spielen«, sagte er
streng.
Ihre Brauen zogen sich hoch.
»Jetzt wird die Sache interessant. Er hat Sie mir also als Spitzel auf den Hals
gehetzt. Hoffentlich hat John Ihnen auch gesagt, wie er mich beim Abschied
nannte. Ein geschlechtsloses Ungeheuer!«
»Oh!«
Ronald schnalzte bedauernd mit
der Zunge. »Das ist ein harter Ausdruck. Ich finde Sie reizend. Ich werde mich
mit MacCrowley in Verbindung setzen und ihm das mitteilen.«
»Wenn ich gewußt hätte, daß Sie
John kennen, hätte ich mich von Ihnen nicht ansprechen lassen.«
»Sie können den Fehler ja
wieder gutmachen. Verbitten Sie sich meine Belästigungen, kehren Sie mir den
Rücken und geben Sie mir einfach keine Antworten mehr.«
Sie wickelte den schweren,
dunklen Zopf ärgerlich um ihre Finger und zerrte daran. »Ich habe heute schon
einem Mann den Rücken zugekehrt, ich habe mein Kontingent erfüllt. Ich kann
mich schließlich nicht mit allen Männern dieser Welt verkrachen, nur weil die
Männer durchweg rechthaberisch sind«, entgegnete sie zornig und setzte ihren
Weg fort. Sie ging auf das erhöht gelegene Plateau zu, von dem aus der schmale
Pfad auf den Ifach führte.
Plötzlich blieb das Mädchen
stehen. »Sie sind allein hier an diesem romantischen Küstenstrich?« Gutting
überlegte eine Weile, dann antwortete er:
»Ja und nein. Ich wohne in
Altea. Wir haben dort ein Haus gemietet mit einer Wirtschafterin.«
Sie stieß mit ihrem Fuß nach
einer leeren Streichholzschachtel. Sie trug dunkelblaue Leinenschuhe mit
hanfgeflochtenen dicken Sohlen. Praktische Schuhe für Sand und Felsen. »Sie
sind also verheiratet?«
Ronald dachte nach. Wer hing
alles an ihm?
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