Mann mit Anhang
mit den Früchten des Meeres, trugen sie nach Hause, kochten und
brieten sie.
Die Frauen von Calpe... Sie
lebten von Fisch, Brot, Öl und Wein, ihre Männer rochen nach Jod, Tang und
Meer, ihr Himmel überschüttete sie mit Sonne, und ihre Erde schenkte ihnen die
Zufriedenheit der Bedürfnislosen.
Ronald sah ihnen zu. Er hätte
gern gewußt, nach welchen Gesichtspunkten die Frauen aus tausend gleichartigen,
silberglänzenden Fischleibern nach sorgsamer Wahl gerade jene vier oder fünf
herauszogen, die ihnen am besten dünkten. Er wandte den Blick der riesigen
Schildkröte zu, die dort auf dem Rücken lag. Sie drehte den Kopf schwerfällig
nach links und rechts; unter der faltigen Haut des gedrungenen Halses pulsierte
in heftigen angestrengten Schlägen das Blut. Das Sterben auf dem heißen Stein
fiel ihr schwer. Sie lechzte nach Wasser und nach der barmherzigen Kühle des
Meeres, aber niemand beachtete sie und niemand machte sich Gedanken über ihr
Leiden.
Die gläubigen Männer und Frauen
Spaniens, die ihre Madonnen in Gold und Edelsteine hüllten, wären verwundert
und ehrlich erschrocken gewesen, wenn der Señor aus Deutschland ihnen gesagt
hätte, daß er sie roh und herzlos fände.
Aber der Señor sagte es nicht.
Er träumte sich in einen der blutjungen dunklen Burschen hinein, die mit
kräftigen Muskeln zupackten und die Liebe und das Leben noch vor sich hatten.
Ronald blieb, bis das bunte
Treiben, das allabendlich bei Heimkehr der Fischerflotte den kleinen Hafen
belebte, abgeklungen war. Das Rumpeln der triefenden Lastwagen, die die Fische
ins Land hineinfuhren, verlor sich in der sanften Stille des Abends. Die
niedrige Mauer, die die Hafeneinfahrt säumte, lief ein ganzes Stück ins Meer
hinein. Auf diese Mauer setzte er sich und kämpfte mit einer lächerlichen,
großväterlichen Unruhe, die ihn heim zu Nico Zwo treiben wollte. Jacky
durchforschte eine alte Zeitung, die jemand weggeworfen hatte, und ging dann
dazu über, mit der Nase den Wirrwarr eines zusammengelegten Fischernetzes zu
durchwühlen. Er würde unerträglich nach Fisch stinken und sich zu seinem
größten Mißvergnügen mit Teerseife abwaschen lassen müssen. Ronald blickte vor
sich auf das Stück Boden, wo die große Schildkröte gelegen und gelitten hatte.
Das Leben, um das der Mensch und jede andere Kreatur so zäh kämpften, war
ungnädig. Gnädig war nur der Tod.
Reizende Gedanken für einen
Mann, der an der Mittelmeerküste Südspaniens in der Abendsonne saß. Warum nicht
lieber an die Jugendjahre mit Jeannette zurückdenken? Er steckte sich eine
Zigarette an.
12
Als er aufblickte, um das
Streichholz ins Meer zu schleudern, stand da das Mädchen, von dem er geträumt
hatte: Jeannette, sehr, sehr schlank, ganz verloren, mit den schmalen Schultern
gegen den hölzernen Leib eines auf den Sand gezogenen Bootes gelehnt. Kein
Muskel in dem schönen, dem Meer zugewandten Gesicht rührte sich. Trotz und
Trauer hatten es zur Maske erstarren lassen. Wie lang stand sie da schon? Sie
war aus der Erde gewachsen, er hatte sie ganz einfach mit seinen Träumen
hierhergezwungen.
Ronald kniff die Augen
zusammen. So also sah eine Traumgestalt aus. Wenn er sich bewegte, löste sie
sich in Luft auf, und nur das alte Boot läge dort im Sand. Er redete sich gut
zu. Ich weiß, daß Jeannette nicht mehr zwanzig ist und daß sie nicht hier
stehen kann. Ich habe Fieberträume. Vielleicht ein leichter Anfall von Malaria.
Er zog ärgerlich an seiner
Zigarette und begann sich zu testen. Ich weiß, daß ich mich den Fünfzig nähere
und eine viertel Fahrstunde von hier meinen Enkelsohn Nico Zwo sitzen habe. Ich
fahre einen Straßenkreuzer, zahle meine Einkommensteuer und habe gestern eine
Postkarte an Fräulein Muhr geschrieben. Und hier sitze ich alter Esel und
starre ein Mädchen an. Aber das kann nicht Jeannette sein, ich würde sonst auf
springen, sie in meine Arire nehmen und sagen: da bist du ja wieder. Endlich!
Während er das dachte, stand er
tatsächlich auf und ging in Richtung des fremden Mädchens. Aber er nahm sie
nicht in seine Arme. Der kurze Weg ernüchterte ihn. Er schätzte, daß trotz
aller Zartheit der Glieder wahrscheinlich genügend Feuer in dem jungen Geschöpf
steckte, einem zudringlichen und verrückten Unbekannten eine kräftige Ohrfeige
zu verabreichen. Weil aber die dunklen Augen sich nun vom Meer lösten und ihm
mit Spannung entgegenblickten, tat er etwas, was nicht viel weniger töricht
war. Er sagte: »Bon
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