Mannerfreie Zone
außer Kontrolle.“ Meine Mom versucht, uns zu beruhigen, aber ich bin zu sauer, ich kann nicht aufhören, Monica anzuschreien. Schließlich brüllt Chuck, der sonst wirkt wie der Inbegriff eines tibetischen Buddhisten, so laut „Hey!“, dass wir alle erschrecken, auch mein Dad, der nun mehr denn je eine Zigarette braucht. Wir alle sehen ihn an.
„Eve, du hast ein Problem. Ich würde gerne als Teil dieser Familie betrachtet werden, aber vielleicht ist es am Besten, wenn ihr erst einmal alleine mit der Situation klarkommt. Ich bin draußen in meinem Bus.“
Ich bringe ein leises „Danke“ über die Lippen. Meine Eltern erklären mir die Details einer Lumpektomie und sagen, dass meine Mutter jetzt Chemotherapie bekommt, es aber noch eine Weile dauert, bis man weiß, ob der Krebs besiegt ist.
Erst jetzt wird mir klar, wie ernst es ist. Daran, wie mein Vater sanft den Arm um meine Mutter legt und sie sich an ihn lehnt, kann ich es sehen. So viel Zärtlichkeit haben sie noch nie zuvor gezeigt. Es schien immer so, als würden sie einfach nebeneinander existieren und nicht füreinander. Wird sie wieder gesund werden? Sie muss gesund werden, sie ist meine Mutter.
„Ich komme schon wieder in Ordnung, Eve. Die Ärzte haben es noch rechtzeitig entdeckt. Sie sind sehr optimistisch, aber ich werde eine Weile nicht so sein wie früher, und ich dachte, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, dir alles zu erzählen.“ Sie legt eine Hand auf meine Schulter. „Alles in Ordnung, Eve?“
„Mir geht’s gut, Mom. Ich mache mir nur Sorgen um dich.“ Sie lächelt wieder.
„Brauchst du nicht, mir geht es bald wieder gut.“ Meine Mutter scheint zu glauben, was sie sagt.
Ich bin sauer auf meinen Dad, dass er mir nichts davon erzählt hat. Ich versuche, ihm das ganze Wochenende über aus dem Weg zu gehen, was normalerweise ziemlich einfach ist, weil er mir auch immer aus dem Weg geht. Doch diesmal versucht er mehrfach, mit mir zu sprechen. Monica und ich schauen uns die ganze Zeit böse an und scheinen einen Wettbewerb gewinnen zu wollen, wer kindischer sein kann. Es ist ziemlich hart, denn Monica und ich müssen uns ein Zimmer teilen, weil meine Eltern es nicht mögen, wenn sie mit Chuck in einem Raum schläft. Wir streiten darüber, wer welches Essen kocht, und Chuck versucht, sich diplomatisch einzumischen. Ich hätte wissen müssen, dass er sich so benehmen wird, schließlich hat er mal Sozialpädagogik studiert.
Chuck legt ständig fest, wer welche Pflichten übernimmt, sogar bis hin zum Karottenschneiden. Am liebsten würde ich ihm sagen, dass er mich mal kann, aber meiner Mom scheint es zu gefallen, wie perfekt wir zusammen arbeiten. Sie kann von ihrem Stuhl im Wohnzimmer aus in die Küche sehen und sagt immerzu: „Meine Mädchen.“ Es könnte die perfekte Familienidylle sein, wenn ich sie nicht alle hassen würde, abgesehen natürlich von meiner Mom. Immer wenn ich sie ansehe, möchte ich am liebsten losheulen.
Monica nimmt sich eine Woche frei (klar, Monica, du hast ja so viel zu tun, ein echt ausgefülltes Leben). Ich nehme mir den Montag frei. Lorraine, die mir immer mehr Arbeit zuschiebt, klingt verärgert, dabei macht sie schon zwei Tage Urlaub, wenn ihr Hund mal auf ihren Teppich kotzt.
Am Montag machen Monica und Chuck einen langen Ausflug. Endlich haben meine Mom und ich mal die Möglichkeit, und zu erholen, wir spielen Karten und schauen uns Seifenopern an. Doch sobald wir alleine sind, komme ich mir vor, als ob ich mich auf ziemlich dünnem Eis bewegen würde. Ich traue mich nicht, sie direkt anzusehen. Ihre Handgelenke kommen mir wirklich dünn vor. Sie war doch nicht schon immer so dünn?
Am Montagabend ruft Rob an. Er hatte es bei uns in der Wohnung versucht, und Roseanne hat ihm gesagt, was los ist. Während ich mit ihm rede, schleicht Monica in der Küche herum. Ich bin so froh, dass sie nicht mit mir spricht, denn ich weiß, dass sie jetzt vor Neugier fast platzt.
„Geht es dir gut, Ms. Vitali?“ fragt er, nachdem ich ihm erklärt habe, was los ist.
„Ich weiß nicht, es ist ein merkwürdiges Gefühl. Meiner Mutter scheint es ganz gut zu gehen, die Ärzte haben alles unter Kontrolle, aber sie ist so anders.“
„Ich schätze, so etwas braucht immer seine Zeit. Die Krankheit wird ihr ganzes Leben verändern, und deines auch. Vielleicht solltest du mal mir ihren Ärzten sprechen.“ Unfassbar wie stark er ist. Ich wünschte nur, ich könnte mich wirklich darüber freuen. Auf jeden Fall ist
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