Mannerfreie Zone
schlecht gelaunt und arbeitet bis weit nach Mitternacht. Ich schätze, dass sie auch nicht anständig isst. Sie hat auf jeden Fall keine Zeit, sich mit meinen Problemen zu befassen.
Meine Mom bekommt die ganze Woche Bestrahlungen. Ich würde am liebsten nach Hause fahren und bei ihr sein, aber sie und mein Dad behaupten, dass ich nichts tun könnte, außer im Krankenhaus zu sitzen und mir Sorgen zu machen. Meine Mom will wissen, ob ich in letzter Zeit mit Monica gesprochen hätte. Ich tue so als ob. Ich glaube, dadurch fühlt sie sich besser.
„Hi Eve, wie geht’s?“ Lacey beugt sich über meinen Tisch. Es ist noch etwas zu kühl für die Bluse, die sie trägt, und ich weiß, dass sie schon jetzt nicht erwarten kann, wieder Sandalen anzuziehen.
„Wissen Sie, Lacey, ich sehe gerade die Post durch.“
„Wie aufregend“, sagt sie ohne mir zugehört zu haben. Sie spricht jetzt in diesem ich-versuche-witzig-und-freundlich-zusein-Ton. Sie reicht mir eine kleine Schuhschachtel voller Belege. Was soll das? „Jedenfalls habe ich gehofft, dass Sie mir helfen können, das hier zu ordnen.“
„Was genau soll ich denn damit machen?“
„Nun …“, jetzt nimmt ihre Stimme wieder einen härteren Klang an. „… ich hatte den Eindruck, dass sich die Autoren nach der Umstrukturierung nicht mehr so viel mit dem Bürokram abgeben sollen. Das behindert nämlich meine Kreativität gewaltig.“ Ich drehe durch. Ich spüre, dass ich jeden Moment durchdrehen werde. Ich bin mir sicher, dass ihre Zähne eine Menge Geld gekostet haben und ich sie ruinieren werde. Warum bin ich in letzter Zeit so gewalttätig?
„Hören Sie, Lacey.“ Es gelingt mir, meinen Tonfall dem ihren anzupassen. „Wir sind noch mitten im Umbruch. Wir wissen noch nicht einmal, wann die neue Zeitschrift herauskommen wird oder auch nur, was überhaupt in ihr stehen soll. Aber eines kann ich Ihnen schon jetzt sagen, Lacey, mir ist es egal, welche Entscheidungen getroffen werden. Auf gar keinen Fall werde ich jemals Ihre Spesenabrechnung machen. Wenn Sie damit ein Problem haben, können Sie mit Herb darüber sprechen, und ich werde mich an die Personalabteilung wenden.“
Sie ist sprachlos. Und ich bin von mir selbst überrascht. „Ich wollte Sie doch nicht beleidigen. Ich dachte nur, es wäre Ihr Job.“
„Glauben Sie wirklich, in meiner Stellenbeschreibung steht, dass ich all die Kosten, die Sie dem Unternehmen bereiten, auch noch ordnen soll?“
„Was wollen Sie damit sagen?“ An ihrem Gesicht kann ich ablesen, dass sie weiß, wie ich das meine. „Ich kann ja verstehen, dass alle ein wenig gestresst sind. Aber ich bin sicher, dass sich das alles regeln lässt.“
Das Schöne an der Umstrukturierung ist, dass man immer eine perfekte Entschuldigung hat, wenn man unhöflich wird. Irgendwie gefällt mir das. Ich schaue wieder auf meinen Bildschirm, auf dem zwar nur der Bildschirmschoner zu sehen ist, doch genau den starre ich an, als wäre er das Wichtigste auf der ganzen Welt. Und endlich verschwindet sie. Ich kann es kaum erwarten, Tabitha davon zu erzählen, aber auch sie ist viel zu beschäftigt, um mir zuzuhören.
Ich rufe Todd an. Ich weiß zwar, dass er momentan nicht in Amerika ist, habe aber keine Ahnung, wo er sich aufhält. Wir haben seit Roseannes Geburtstag nicht miteinander gesprochen. Ich versuche zu vergessen, wie er damals hinter dem Taxi hergeschaut hat, als ich zu Rob gefahren bin. Seine Mailbox geht ran, und darauf sagt er, dass er nicht im Büro ist, aber regelmäßig seine Nachrichten abhören wird. Ich hasse es, Nachrichten zu hinterlassen, vor allem in diesem Fall, denn er wird bestimmt die Augen verdrehen, wenn er mich hört.
„Hey, ich bin’s. Eve. Mir ist einfach etwas langweilig. Ich wollte mal hören, äh, was du so machst. Wie geht es dir? Du kannst mich ja mal zurückrufen, wenn du Zeit hast. Oder auch nicht. Wie du magst. Mach’s gut.“ Ich lege auf. Das war dumm.
„Eve, wie läuft es?“ Herb hat sich wirklich ganz schön auf dieses ganze
Yoga for Life
-Theater eingestellt, er trägt ein indisches Baumwollhemd. „Kommen Sie mit den Briefen voran?“
„Oh ja, es läuft großartig. Ich werde sie auf jeden Fall bis Mittwoch fertig haben.“ Heute ist Montag. Ich habe noch nicht einmal vierzig davon durchgesehen. Ich bin so eine Versagerin.
„Wunderbar, Eve. Ganz großartig. Und Sie haben die Briefe natürlich in mehrere Stapel aufgeteilt. Wie groß ist der für
Breathe
?“
„Nun, das ist noch etwas
Weitere Kostenlose Bücher