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Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Banner
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bei einem solchen Wetter so spät allein nach Hause zu laufen.«
    »In Ordnung«, sagte ich. Also gut. Ich würde vers u chen, mein Temperament zu zügeln. Ich ging auf die Tür zu.
    »Leo.« Ich drehte mich zu ihr um. »Vergiss deinen Mantel nicht.«
    Ich erkannte an ihrer Stimme, dass ihr Zorn verraucht war. Sie klang fast entschuldigend. Idiotischerweise musste ich das sofort ausnutzen. Ich streckte meinen Arm nach dem Mantel aus und mit einem Schnappen, das wie der Flügelschlag einer Fledermaus klang, war er in me i ner Hand. Noch so ein Trick. Ich bekam davon Kop f schmerzen, wenn ich müde war.
    Meine Großmutter bewegte sich schneller, als ich es ihr zugetraut hätte. Sie riss mir den Mantel aus der Hand und schleuderte ihn nach hinten, so als ob sie sich daran verbrennen könnte. In ihren Augen war Zorn und noch etwas anderes. Angst! Es war berauschend. Sie fürchtete sich vor mir, realisierte ich. Sie fürchtete sich tatsächlich vor mir.
    »Was habe ich dir über diese albernen Tricks gesagt?« Ihre Stimme war schrill. »Geh hin und heb ihn anständig auf.« Aber ich drehte mich um, marschierte ohne ein Wort hinaus und knallte die Tür hinter mir zu.
     
    Als ich die Schultore erreichte, war es schon fast halb sieben. Ohne meinen Mantel bibberte ich vor Kälte und wünschte beinahe, ich wäre nicht so weggegangen. Zi t ternd hielt ich nach Stirling Ausschau. In einem der Kla s senzimmer brannte noch immer Licht. Hier hatte ich auch vorhin gewartet, bis Sergeant Markey mich erwischt und fortgeschickt hatte.
    Während ich da stand und die Gebäude beobachtete, gin g e ine Tür auf, und eine kleine Gestalt tauchte im G e genlicht auf. Es war Stirling. Er schlurfte über den Hof und zum Tor hinaus. Überall dort, wo schwere Stiefel den Schnee während des Tages zu Matsch zertreten ha t ten, war er zu grauen Tälern und Hügeln gefroren. Ich lief los, um Stirling einzuholen, als er gerade über sie hinwegstapfte.
    Im Näherkommen sah ich, dass er zitterte und sein Gesicht eine bläuliche Tönung hatte, die nicht nur vom seltsamen Widerschein des Schnees kam. Auf seinen Wangen hingen zwei weiße Punkte, und ich begriff, dass es Eisperlen waren. Gefrorene Tränen. Er blieb still vor mir stehen.
    »Sieh dich nur an«, sagte ich. »Was hast du gemacht?«
    Er bibberte. Ich legte meine Hand auf seine Schulter und führte ihn weg. Ich konnte spüren, wie er zitterte. »Er hat mich in der Kälte stehen lassen, bis ich exerzi e ren würde«, sagte Stirling mit bebender Stimme.
    »Wer? Sergeant Markey?« Er nickte. »Wie lange?«
    »Seit die Schule aus ist.«
    »Aber das sind drei Stunden! Und es hat Minusgrade.«
    Stirling erwiderte nichts.
    »Und hast du am Ende exerziert?«
    »Nein.«
    »Warum hat er dich dann gehen lassen?«
    »Weil er die Schule geschlossen hat.«
    Ich sah ihn scharf an. »Stirling, hast du geweint?« Ich wollte nicht vorwurfsvoll klingen, aber in unserem Land weinen Jungen nicht. Sie tun es einfach nicht. Es ist ein Zeichen von Schwäche. Andererseits war Stirling noch sehr jung. Er antwortete nicht. »Hat er dich geschlagen?« Stirling streckte mir die Hand entgegen. Ich nahm sie und hielt sie gegen das Licht der Straßenlaterne. Auf der we i ßen Handfläche zeigten sich drei wunde Streifen. Die Haut schimmerte, wo sie malträtiert worden war. Seine Hand war kalt – so kalt, als wäre er tot – und ganz klein.
    Ich ließ sie schaudernd los. »Er hätte dich nicht dre i mal schlagen müssen. Nicht, wenn du geweint hast.«
    »Ich hab nicht deswegen geweint«, sagte Stirling.
    »Warum dann?«
    »Er hat Sachen gesagt. Gemeine Sachen.«
    »Was für Sachen?«
    Er seufzte zittrig. »Einfach … gemeine Sachen. Es ist jetzt sowieso egal.«
    »Sag es mir. Ich schätze, ich kann es verkraften.«
    Er machte eine Pause. »Einfach nur Dinge über unsere Eltern. Eigentlich nichts. Es war dumm von mir zu we i nen und …«
    »Was für Dinge?«, unterbrach ich ihn barsch.
    »Er sagte … unsere Mutter wäre«, er sah mich an, »nichts Besseres als eine Prostituierte gewesen.«
    »Nichts Besseres als was ?« Ich merkte selbst, dass ich laut wurde.
    »Ich hab es schon gesagt!«
    Ich brachte nichts heraus. Ich versuchte zu sprechen, konnte aber einfach nicht.
    »Er hat es nur gesagt, um mich zum Weinen zu bri n gen«, murmelte Stirling.
    An diesem Punkt fand ich meine Sprache wieder und begann zu schimpfen.
    »Leo, hör auf damit«, sagte Stirling. »Schrei mich nicht an. Und fluch nicht so.« Er sah aus, als

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