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Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Banner
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Soldat zu sehen. An einem Ort wie di e sem gab es niemals Probleme – es war hier so ruhig wie im Reich der Toten.
    »Es wäre ganz schön langweilig, hier zu leben«, sagte Stirling. »Es ist so still und bedrückend.«
    »Weißt du, manchmal ist langweilig gut.« Aber ich wusste, was er meinte. Hier herrschte eine undurchdrin g liche Atmosphäre von betäubendem Reichtum, Gleic h förmigkeit und Sicherheit, die wie feuchter Dunst in den Straßen hing und einem das Gehirn vernebelte. Natürlich hätte ich lieber hier gelebt als in der Zitadellstraße, aber ich hätte mich nie lebendig gefühlt. Ich hielt nichts von den Menschen, die in diesen perfekten Häusern lebten. Wer hier wohnte, musste morgens aufwachen und sich fragen, ob sein schwaches Herz, das niemals etwas hatte, wofür es sich zu schlagen lohnte, in der Nacht verstummt war. Das war es, was ich dachte.
    Doch dann kam mir das heiße Wasser in den Sinn, die Teppiche in den Schlafzimmern und die nicht vorhand e nen Soldaten auf den Straßen, und ich war mir nicht mehr sicher. Wir ha tt en früher selbst so gelebt, und ein bisschen erinnerte ich mich noch daran.
    Ganz plötzlich stießen wir auf die Stadtmauer. Sie zog sich – niedriger als Stirling groß war und nicht mehr als einen halben Meter breit – um die ganze Inselstadt. Die Stadt brauchte neben dem Fluss keine Verteidigung. Der Wind blies über die Mauer und uns direkt ins Gesicht, während wir auf sie zugingen.
    Wir lehnten uns dagegen und betrachteten die Berge jenseits des breiten Stroms. »Es ist hübsch«, sagte ich gleichgültig. »Ich hätte nichts dagegen, hier zu leben.« Und wirklich, ich hätte für immer dort stehen bleiben können.
    Die Häuser hinter uns waren so ausgerichtet, als sol l ten sie eigentlich anderen auf der gegenüberliegenden Seite einer ganz gewöhnlichen Straße entgegenblicken. Aber stattdessen war jenseits des Kopfsteinpflasters nur die Mauer und dahinter Leere. Die ganze Straße war mit sauberen, grauen Steinen gepflastert und wölbte sich nach außen wie die Seite eines Schiffs. Die Gebäude hier waren nicht alt – die ältesten der Stadt hatte man aus dem Vulkangestein der Insel selbst gebaut.
    Ich lehnte mich nach vorne, um zum Wasser hinunte r zusehen, aber Stirling packte mich am Arm und rief: »Sei vorsichtig, Leo!«
    Der Fluss lag in mindestens zwanzig Metern Tiefe u n ter uns. Das schmutzige Wasser strömte schnell dahin, verdunkelt von den Schatten und roten Reflektionen der Klippen. Aber da lag trotzdem eine wilde Schönheit in der gewaltigen Kraft der Wassermassen, die sich auf i h rem Weg nach Süden schäumend über die Felsen ergo s sen.
    Stirling zog mich noch immer am Arm. »Hör auf, dich so weit vorzulehnen, Leo.« Ich hörte auf und ließ den Blick stattdessen in östlicher Richtung über das sonne n beschienene Land schweifen. Auf der anderen Seite des Flusses verlief, etwas tiefer gelegen als die Stadt, die Kreisstraße. Auf ihr bewegten sich gerad e v ier Soldaten, die in kurzem Galopp auf das nördliche Ende der Stadt zuritten. Wir konnten von hier aus auch die Nordöstliche Straße sehen, die sich in gerader Linie durch das ausg e dörrte Ackerland zog. Gerade dort, wo sie anfing, in den weißen Nebel einzutauchen, glaubte ich, Ositha zu e r kennen, das auf halber Strecke zwischen Kalitzstad und Romeira lag. Und im Westen waren die Berge, die grün schimmerten in ihrem neuen Mantel aus Sommergras, der mit weißen Blumen gesprenkelt war. Die Sonne stand in unserem Rücken, schien über das Land und überzog die Östlichen Berge m it einem lilafarbenen Schimmer.
    »Es war doch in Ordnung, ohne Maria herzukommen, oder?«, fragte Stirling.
    »Ja. Schließlich kennen wir es ja sowieso schon.«
    »Aber ich wusste nicht mehr, wie schön es ist.«
    »Es wird sie nicht stören. Die Berge sind anders, wenn man wirklich dort ist, statt nur draufzugucken. Und am Samstag gehen wir ja zusammen hin.«
    »Machen wir uns jetzt wieder auf den Weg zu Aldeb a rans Grab?«, fragte Stirling. »Ich finde, wir sollten hi n gehen, bevor es spät wird. Falls du immer noch willst.«
    Ich stieß mich von der Mauer ab, wir drehten uns um und gingen weiter in Richtung Friedhof.
    Ich beobachtete gerade, wie das Wasser unter uns vo r beiströmte, als Stirling mich anrempelte. »Was ist?«, fragte ich und sah hoch. An einem der Häuser vor uns wurde die Haustür zugeschlagen, und als ich mich nach dem Geräusch umdrehte, entdeckte ich eine vertraute Gestalt, die gerade

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