Mansfield Park
war sie imstande, auszurufen: ‹Aber warum, warum wollte sie ihn nicht nehmen? Alles ist ihre Schuld. Das einfältige Ding! Ich werde ihr das nie verzeihen! Wenn sie eingewilligt hätte, wie es sich für sie gehörte, stünden sie jetzt wohl knapp vor der Hochzeit, und Henry wäre zu glücklich und zu beschäftigt gewesen, um an eine andere zu denken. Er hätte sich nicht erst angestrengt, um Maria wieder zu betören, und alles wäre mit einem netten, regulären Dauerflirt bei den alljährlichen Begegnungen in Sotherton oder Everingham abgetan!› – Hättest du so etwas für möglich gehalten, Fanny? Aber jetzt ist der Zauber gebrochen. Die Schuppen sind mir von den Augen gefallen.»
«Wie herzlos!» sagte Fanny. «Einfach herzlos! In einem solchen Augenblick leichtfertig zu scherzen – mit dir! Das ist eine absolute Herzlosigkeit.»
«Herzlosigkeit nennst du es? Da bin ich anderer Meinung. Nein, sie ist keine grausame Natur. Ich glaube nicht, daß sie die Absicht hatte, mir wehzutun. Nein, das Übel liegt noch tiefer – in ihrer vollkommenen Ahnungslosigkeit, daß es überhaupt edlere Gefühle gibt, in einer Perversion des Gemüts, die es ihr ganz natürlich scheinen läßt, die Sache auf diese Art anzusehen. Sie redete einfach, wie sie es zu hören gewohnt ist, wie sie meint, daß jeder andere Mensch reden würde. Ihre Fehler liegen nicht in ihrem Charakter. Sie würde niemanden mit Absicht kränken, wenn es nicht unbedingt sein müßte, und – vielleicht täusche ich mich – aber ich kann mir nicht vorstellen, daß sie mich, daß sie meine Gefühle … Nein, es liegt an ihren falschen Grundsätzen, Fanny, an der Abstumpfung jedes natürlichen Zartgefühls und der Verderbtheit des Gemüts. Vielleicht ist es für mich besser so – da mir nur so wenig Grund zum Bedauern bleibt … Aber nein, nein, nicht so! Wieviel lieber würde ich den Schmerz ertragen, ein wertvolles Wesen verloren zu haben, als so schlecht von ihr denken zu müssen! Das habe ich ihr auch gesagt.»
«Das hast du ihr gesagt?»
«Ja, bevor ich ging, habe ich es ihr gesagt.»
«Wie lange warst du bei ihr?»
«Fünfundzwanzig Minuten. Ja, sie sagte dann noch, jetzt bliebe nur eines zu tun, eine Heirat zwischen den beiden zuwege zu bringen. Fanny, sie hat mit festerer Stimme davon gesprochen, als es mir jetzt noch möglich ist.»
Er war gezwungen, mehr als einmal innezuhalten, während er fortfuhr: «‹Wir müssen Henry dazu bewegen, sie zu heiraten›, sagte sie, ‹und bei seinem Ehrgefühl und angesichts der Gewißheit, daß er sich Fanny endgültig verscherzt hat, halte ich das gar nicht für aussichtslos. Fanny muß er natürlich aufgeben. Ich glaube, nicht einmal er kann sich jetzt noch einreden, daß er ein Mädchen wie Fanny bekommen könnte, und darum hoffe ich, daß wir nicht auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen werden. Mein Einfluß, der nicht gering ist, soll ganz und gar in dieser Richtung eingesetzt werden. Und wenn sie erst wieder verheiratet ist und die moralische Unterstützung ihrer Familie genießt, die ja soviel Ansehen besitzt, wird sie bis zu einem gewissen Grad auch wieder in der Gesellschaft Fuß fassen. Zu bestimmten Kreisen, das wissen wir, wird sie niemals Zutritt haben, aber wenn sie gute Dinners und große Gesellschaften gibt, werden sich immer Leute finden, die gern ihre Bekanntschaft pflegen. Und unzweifelhaft denkt man heute in diesem Punkt liberaler und weniger engherzig als früher. Was ich Ihnen raten möchte, ist, daß Ihr Vater sich still verhält. Lassen Sie nicht zu, daß er durch sein Eingreifen seiner eigenen Sache schadet. Überreden Sie ihn, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Wenn sie durch irgendwelche übereifrigen Bemühungen von seiner Seite gezwungen wird, Henrys Schutz aufzugeben, besteht viel weniger Aussicht, daß er sie heiratet, als wenn sie bei ihm bleibt. Ich weiß, wie leicht er sich beeinflussen läßt. Lassen Sie Sir Thomas auf Henrys Ehre und Mitleid vertrauen, und alles kann noch ein gutes Ende nehmen. Aber wenn er seine Tochter zurückholt, gibt er seine beste Karte aus der Hand.›»
Nachdem Edmund diese Worte wiederholt hatte, war er so erschüttert, daß Fanny, die ihn schweigend und mit zärtlicher Besorgnis beobachtete, beinahe bedauerte, daß er überhaupt begonnen hatte. Es dauerte lange, bis er imstande war, weiterzusprechen. Schließlich sagte er: «Jetzt bin ich bald fertig, Fanny. Ich habe dir alles Wesentliche berichtet. Sobald ich meiner Stimme trauen konnte, sagte
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