Mansfield Park
Kummer viel milderer Art als der um seine anderen Kinder, doch Sir Thomas bedachte sehr wohl, daß Edmund durch das Vergehen seiner Schwester und seines Freundes aufs tiefste in seinen persönlichen Glückshoffnungen getroffen war; es mußte ihn auf ewig von der Frau scheiden, die er mit so offenkundiger Liebe umworben und höchstwahrscheinlich auch errungen hätte und die, abgesehen von ihrem nichtswürdigen Bruder, in jeder Hinsicht eine so begehrenswerte Schwiegertochter gewesen wäre. Sir Thomas wußte genau, was Edmund während ihres Aufenthalts in London, zusätzlich zu allem anderen, um seiner selbst willen zu leiden hatte. Sir Thomas hatte beobachtet oder seine Schlüsse gezogen, und da er wußte, daß mindestens eine Zusammenkunft mit Miss Crawford stattgefunden, die Edmunds Verzweiflung nur noch gesteigert hatte, lag ihm aus diesem wie aus anderen Gründen viel daran, ihn möglichst rasch aus London zu entfernen. Als er ihm auftrug, Fanny zu ihrer Tante nach Mansfield zu bringen, hatte er dabei nicht zuletzt Edmunds Wohl im Auge gehabt. Fanny war nicht in die geheimen Gedanken ihres Onkels eingeweiht, und Sir Thomas ahnte nichts von Miss Crawfords wahrem Charakter. Wäre er Zeuge des Gesprächs zwischen ihr und seinem Sohn gewesen, hätte er sich nicht gewünscht, sie in seine Familie aufzunehmen, auch wenn sie statt ihrer zwanzig-, vierzigtausend Pfund besessen hätte!
Daß Edmund nun für alle Zeiten von Miss Crawford geschieden war, unterlag für Fanny keinem Zweifel – doch ihre eigene Überzeugung genügte ihr nicht, solange sie nicht wußte, daß er der gleichen Meinung war. Sie konnte nichts anderes annehmen, doch sie wollte es aus seinem eigenen Mund hören! Wenn er jetzt zu ihr mit der gleichen Rückhaltlosigkeit gesprochen hätte, die sie früher manchmal kaum zu ertragen glaubte, wäre ihr das ein großer Trost gewesen. Doch sie sah, daß sie darauf nicht hoffen durfte. Sie war nur selten mit ihm zusammen und niemals allein – er schien es absichtlich zu vermeiden. Was war daraus zu schließen? Daß seine Vernunft sich dem bitteren Verzicht unterwarf, den das allgemeine Familienunglück ihm auferlegte, daß sein Herz dies jedoch allzu schmerzlich empfand, um ihn auch nur andeutungsweise darüber sprechen zu lassen. So mußte es in ihm aussehen. Er unterwarf sich seinem Los, jedoch unter Qualen, die ihm jede Aussprache unmöglich machten. Lange, sehr lange würde es dauern, bis er Miss Crawfords Namen wieder über die Lippen brachte und Fanny auf eine Erneuerung ihrer einstigen vertraulichen Gespräche hoffen durfte.
Ja, es dauerte lange. Sie waren Dienstag in Mansfield angekommen, und es wurde Sonntag abend, bis Edmund mit ihr über das Thema zu sprechen begann. Es war ein regnerischer Sonntagabend, genau so ein Abend, an dem, wenn nur ein Freund zur Hand ist, das Herz nicht anders kann, als sich aufzutun und seinen Kummer auszuschütten. Er war mit ihr so gut wie allein im Salon; seine Mutter hatte sich nach dem Anhören einer rührenden Predigt in den Schlaf geweint – es wäre einfach unmöglich gewesen, nicht zu sprechen. Und nach der üblichen Einleitung: wenn sie ihm nur ein paar Minuten lang zuhören wolle – er würde sich ganz kurz fassen und ihre Güte niemals wieder mit diesem Thema in Anspruch nehmen – sie brauche keine Wiederholung zu fürchten – der Gegenstand würde von nun an absolut verpönt sein – nach allen diesen Erklärungen, von denen man kaum wußte, wie sie begonnen hatten, gab er sich dem schmerzlichen Genuß hin, die Ereignisse und Empfindungen, die für ihn so ungeheuer bedeutsam waren, einem Menschen zu schildern, von dessen liebevollem Mitgefühl er unbedingt überzeugt war.
Wie hingegeben Fanny lauschte, mit welcher Neugier und Besorgnis, mit welcher Mischung von Kummer und heimlicher Freude, wie aufmerksam sie jeden erregten Ton verzeichnete und wie gewissenhaft sie darauf bedacht war, ihre Blicke überallhin, nur nicht auf ihn zu richten – das alles kann man sich vorstellen. Die ersten Sätze klangen beunruhigend. Er hatte Miss Crawford gesprochen. Sie hatte ihn aufgefordert, zu ihr zu kommen. Er hatte ein Billet von Lady Stornaway erhalten, das ihn einlud, sie zu besuchen. Und da er annahm, daß dies als die letzte, die allerletzte Begegnung gedacht war, und da er sie in seinem Geist mit allen Gefühlen der Scham und der Demütigung ausstattete, wie sie Crawfords Schwester jetzt überwältigen mußten, hatte er sich in einer so weichmütigen, so
Weitere Kostenlose Bücher