Mansfield Park
getraut, wäre sie ganz sicher gewesen, klar zu sehen und richtig zu urteilen, so hätte sie wohl ihrem ständigen Vertrauten, Edmund, einige bedeutsame Beobachtungen mitgeteilt. So aber wagte sie bloß eine leise Andeutung, und die Andeutung fiel nicht auf fruchtbaren Boden. «Es wundert mich eigentlich», sagte sie zu Edmund, «daß Mister Crawford so bald zurückgekommen ist, nachdem er vorher schon volle sechs Wochen hier verbracht hat. Er soll doch auf Abwechslung und Ortsveränderung so versessen sein – ich war ganz sicher, daß irgendein Zufall ihn anderswo hinlocken würde. Er ist an glänzendere Orte als Mansfield gewöhnt.»
«Jedenfalls spricht es für ihn», entgegnete Edmund,«und vor allem freut es seine Schwester. Sein Herumzigeunern gefällt ihr nicht.»
«Wie beliebt er sich bei Maria und Julia gemacht hat!» «Ja, er weiß sich Damen gegenüber zu benehmen. Mrs. Grant scheint zu glauben, daß er eine tiefere Zuneigung für Julia gefaßt hat. Ich selbst habe eigentlich niemals viel davon bemerkt, aber ich wünschte, sie hätte recht. Er hat keine Fehler, die nicht durch eine ernsthafte Bindung zu heilen wären.»
«Wenn Maria nicht verlobt wäre», sagte Fanny vorsichtig, «möchte ich manchmal fast meinen, daß er sie mehr bewundert als Julia.»
«Was vielleicht deutlicher dafür spricht, daß er Julia bevorzugt, als du, Fanny, wissen kannst. Ich glaube, es ist oft so, daß ein Mann, bevor er sich endgültig entscheidet, die Schwester oder Busenfreundin seiner Zukünftigen mehr auszeichnet als die Dame selber. Crawford ist zu vernünftig, er würde nicht hierbleiben, wenn er das Gefühl hätte, daß ihm von Maria Gefahr droht. Und um sie ist mir nicht bange. Sie hat hinlänglich bewiesen, daß sie dem Verstand und nicht dem Gefühl folgt.»
Fanny meinte, daß sie sich geirrt hätte, und hatte die beste Absicht, künftighin anders zu denken; doch wie gern sie sich auch Edmunds besserem Urteil unterwarf und wie oft sie auch diskrete Blicke und Anspielungen der anderen auffing, die besagen sollten, daß Mr. Crawford Julia erwählt hatte, wußte sie manchmal nicht, was sie glauben sollte. Eines Abends wurde sie zufällig in die diesbezüglichen Hoffnungen ihrer Tante Norris eingeweiht, die diese der alten Mrs. Rushworth anvertraute, und konnte sich ihrer heimlichen Zweifel nicht erwehren. Sie wäre froh gewesen, hätte sie nicht zuhören müssen, denn das Gespräch fand statt, während die anderen jungen Leute alle tanzten, und Fanny, sehr gegen ihren Wunsch, bei den älteren Damen am Kamin saß und sehnsüchtig auf den Eintritt ihres älteren Cousins wartete, auf dem augenblicklich ihre ganze Hoffnung beruhte, diesen Tanz nicht zu versäumen. Es war Fannys erster Ball, aber ohne die Vorbereitungen und den Glanz, die eigentlich zu einem ersten Ball gehören. Man hatte ihn von einer Stunde auf die andere improvisiert, gestützt auf die Akquisition eines neuen Bedienten, der die Geige zu spielen verstand, und auf die Hoffnung, mit Hilfe von Mrs. Grant und einem neuen, intimen Freund Toms, der eben erst zu Besuch gekommen war, fünf Paare aufzustellen. Für Fanny war es bisher vier Tänze lang ein herrlicher Ball gewesen, und sie war ganz betrübt, auch nur eine Viertelstunde davon zu verlieren. Während sie wartend und wünschend dasaß und bald auf die Tänzer, bald sehnsüchtig zur Tür hinblickte, hörte sie notgedrungen das Gespräch der beiden Damen.
«Ich denke, gnädige Frau», sagte Mrs. Norris, den Blick auf Maria und Mr. Rushworth gerichtet, die zum zweitenmal zusammen antraten, «jetzt bekommen wir wieder zwei frohe Gesichter zu sehen.»
«Ja, gnädige Frau, gewiß», erwiderte die würdige Dame mit dümmlichem Lächeln, «jetzt wird es wieder ein Vergnügen sein zuzuschauen. Ich finde es ja schade, daß sie nicht die ganze Zeit miteinander tanzen. Junge Leute in ihrer Situation sollten entschuldigt sein, wenn sie sich nicht streng an die Form halten. Ich staune, daß mein Sohn es nicht vorgeschlagen hat.»
«Das hat er wohl sicher getan, gnädige Frau. Mr. Rushworth läßt es niemals an Aufmerksamkeit fehlen. Aber unsere liebe Maria besitzt einen so ausgeprägten Sinn für Schicklichkeit, liebe Mrs. Rushworth, soviel von der echten Delikatesse, die alles Auffällige zu vermeiden wünscht und der man heutzutage so selten begegnet. Ach, sehen Sie doch nur ihr Gesicht an, liebe gnädige Frau! Jetzt schaut sie anders drein als während der letzten zwei Tänze!»
Miss Bertram machte in
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