Mantel, Hilary
nur ein Auge zu haben.«
»Sagt danke.« Thomas Wyatt
brüllt und stößt seine Gefährten an. »Sagt danke zu Master Cromwell und zahlt
zurück, was ihr ihm schuldet. Wer außer ihm würde an einem Feiertag so früh
aufstehen und auch noch die Geldbörse zücken? Wir hätten sonst bis morgen dort
bleiben müssen.«
Sie sehen nicht wie Männer
aus, die zusammen auch nur einen Shilling haben. »Ist in Ordnung«, sagt er.
»Sie haben Kredit.«
»Weh mir, was soll ich für die Liebe tun?«
Frühling 1532
Es ist an der Zeit, die
Verträge zu betrachten, die die Welt zusammenhalten: den Vertrag zwischen
Herrscher und Beherrschten und den zwischen Ehemann und Ehefrau. Beide
Abmachungen basieren auf unermüdlicher Ergebenheit: einer zum Wohle des
anderen. Der Herr und der Ehemann schützen und versorgen; die Ehefrau und der
Diener gehorchen. Über den Herren, über den Ehemännern ist es Gott, der alles
beherrscht. Er zählt unsere banalen Rebellionen zusammen, unsere menschlichen
Torheiten. Er streckt seinen langen Arm aus, die Hand zur Faust geballt.
Stellen wir uns eine
Erörterung dieser Fragen mit George, Lord Rochford, vor. Er steht anderen
jungen Männern in England an Geist nicht nach, ist gebildet und belesen; was
ihn aber heute fasziniert, ist der flammenfarbene Satin, der durch seinen
geschlitzten Samtärmel blitzt. Immer wieder bearbeitet er die Bäuschchen aus
Stoff mit der Fingerspitze, faltet und knautscht sie, lässt sie wachsen, sodass
er wie einer dieser Jongleure aussieht, die Bälle auf ihren Armen rollen
lassen.
Es ist Zeit zu sagen, was
England ist, seinen Rahmen, seine Grenzen zu umreißen: nicht seine
Verteidigungsanlagen in den Häfen und seine Grenzmauern zu zählen und
auszumessen, sondern seine Fähigkeit zur Selbstregierung einzuschätzen. Es ist
Zeit zu sagen, was ein König ist und welche Verantwortung und Fürsorge er
seinem Volk schuldet: welche Verteidigung vor fremden Übergriffen moralischer
oder physischer Natur, welchen Schutz vor den Ansprüchen jener, die einem
Engländer gerne vorschreiben möchten, wie er zu seinem Gott sprechen soll.
Das Parlament tritt Mitte
Januar zusammen. Im Vorfrühling hat es die Aufgabe, den Widerstand der Bischöfe
gegen Henrys neue Verfügung zu brechen, die darauf abzielt, eine bis dato
aufgeschobene Gesetzgebung in Kraft zu setzen. Sie wird Roms Einkünfte
beschneiden und dafür sorgen, dass Henrys Oberhoheit über die Kirche nicht mehr
rein nominell ist. Das Unterhaus verfasst einen Antrag gegen die Kirchengerichte,
die so willkürlich in ihren Verfahren und so arrogant in ihrer angemaßten
Rechtsprechung sind; es stellt ihre Zuständigkeit, ihre Existenzberechtigung in
Frage. Die Papiere gehen durch viele Hände, aber schließlich arbeitet er
selbst mit Rafe und Nennt-mich-Risley die Nacht durch, notiert Änderungen und
Ergänzungen über den Zeilen. Er scheucht die Opposition auf: Obwohl er der
Sekretär des Königs ist, fühlt sich Gardiner verpflichtet, seine Mit-Prälaten
in die Schlacht zu führen.
Der König schickt nach Master
Stephen. Als Gardiner hineingeht, sträuben sich seine Nackenhaare, und er
schrumpft in seiner Haut wie ein Mastiff, der zu einem Bären geführt wird. Der
König hat eine hohe Stimme für einen großen Mann, und wenn er wütend ist,
erhebt sie sich zu einem dröhnenden Kreischen. Sind die Geistlichen nun seine
Untertanen oder nur halbe Untertanen? Vielleicht sind sie überhaupt nicht seine
Untertanen, denn wie können sie das sein, wenn sie einen Eid ablegen, dem Papst
zu gehorchen und zu helfen? Müssten sie nicht, brüllt er, vor mir einen Eid ablegen?
Als Stephen herauskommt,
lehnt er sich an die bemalte Täfelung. In seinem Rücken tummelt sich eine
Truppe gemalter Nymphen auf einer Waldlichtung. Er nimmt ein Taschentuch
heraus, scheint aber vergessen zu haben, wozu; er knetet es in seiner großen
Pfote und wickelt es um seine Fingerknöchel wie einen Verband. Schweiß rinnt
ihm über das Gesicht.
Er, Cromwell, ruft nach
Unterstützung. »Mylord der Bischof ist krank.« Ein Hocker wird gebracht, und
Stephen funkelt den Hocker an, funkelt ihn an, dann setzt er sich vorsichtig
hin, als könne er der Tischlerarbeit nicht trauen. »Ich gehe davon aus, dass
Sie ihn gehört haben?«
Jedes Wort. »Wenn er Sie
einsperrt, sorge ich dafür, dass Sie ein paar kleine Annehmlichkeiten erhalten.«
Gardiner sagt: »Gott verfluche
Sie, Cromwell. Wer sind Sie denn? Welches Amt bekleiden Sie? Sie sind
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