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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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Brot wie beim Bäcker?
Lasst dieses Kind nach vorn, sagten sie. Er soll was lernen, es ist gut für
ihn, wenn er es von nahem sieht, dann geht er immer brav zur Messe und
gehorcht seinem Priester. Sie schoben ihn in der Menge ganz nach vorne. Komm
her, Schätzchen, stell dich neben mich, sagte eine Frau. Sie hatte ein breites
Lächeln und trug eine saubere weiße Haube. Allein fürs Zugucken kriegst du
Vergebung für deine Sünden, sagte sie. Und alle, die Reisigbündel fürs Feuer
mitbringen, kriegen vierzig Tage Fegefeuer erlassen.
    Als  die Lollardin von den
Wachen herangeführt wurde, buhten und schrien die Leute. Er sah, dass sie eine
Großmutter war, vielleicht die älteste Person, die er je gesehen hatte. Die
Wachen trugen sie beinahe. Sie hatte weder Haube noch Schleier. Das Haar schien
ihr in Büscheln vom Kopf gerissen worden zu sein. Hinter ihm sagten Leute: Das
hat sie bestimmt selber gemacht, aus Verzweiflung über ihre Sünden. Hinter ihr
kamen zwei Mönche wie fette graue Ratten mit Kreuzen in ihren rosa Pfoten. Die
Frau mit der sauberen Haube drückte seine Schulter: wie es eine Mutter tun
würde, wenn man eine hätte. Sieh sie dir an, sagte sie, achtzig Jahre alt und
durch und durch böse. Ein Mann sagte: Die hat nicht viel Fett auf den Knochen,
das wird nicht lange dauern, außer der Wind dreht sich noch. Aber was ist ihre
Sünde?, sagte er.
    Hab ich dir doch gesagt. Sie
sagt, die Heiligen sind nichts als Holzpfähle.
    Wie der Pfahl, an den sie
gekettet wird? Ja, genauso.
    Der Pfahl wird auch
verbrennen.
    Sie nehmen das nächste Mal
einen neuen, sagte die Frau. Sie nahm die Hand von seiner Schulter. Sie ballte
beide Hände zur Faust und stieß sie in die Luft, und aus der Tiefe ihres
Bauches entließ sie einen Schrei, ein Horrido, das sie mit der schrillen Stimme
eines Dämons ausstieß. Die Menschenmenge nahm den Schrei auf. Die Leute drängelten
und schoben sich nach vorn, um besser sehen zu können, sie johlten und pfiffen
und trampelten mit den Füßen. Beim Gedanken an den schrecklichen Anblick, der
sich ihm bieten würde, wurde ihm heiß und kalt. Er verrenkte sich, um in das
Gesicht der Frau aufsehen zu können, die in dieser Menge seine Mutter war. Guck
genau hin, sagte sie. Mit einer ganz sanften Bewegung ihrer Finger drehte sie
sein Gesicht zu dem Schauspiel hin. Jetzt pass auf. Die Wachen nahmen Ketten
und fesselten die alte Frau an den Pfahl.
    Der Pfahl stand auf einem
Steinhaufen, und ein paar Herren kamen und Priester, vielleicht Bischöfe, das
wusste er nicht. Sie riefen der Frau zu, sie solle ihren Irrglauben ablegen. Er
stand nah genug, um sehen zu können, wie sich ihre Lippen bewegten, aber er
konnte nicht hören, was sie sagte. Wenn sie jetzt ihre Meinung ändert, wird sie
dann freigelassen? Bestimmt nicht, kicherte die Frau. Sieh mal, sie ruft Satan
an, ihr zu helfen. Die Herren zogen sich zurück. Die Wachen schichteten Holz
und Strohballen rund um die Lollardin auf. Die Frau klopfte ihm auf die
Schulter: Hoffen wir mal, dass es feucht ist, was? Hier kann man gut sehen, das
letzte Mal stand ich ganz hinten. Der Regen hatte aufgehört, die Sonne war
herausgekommen. Als  der Scharfrichter mit einer Fackel kam, leuchtete sie kaum
in der Sonne, sie war kaum mehr als eine gleitende Bewegung wie von Aalen in
einem Sack. Die Mönche psalmodierten und hielten ein Kreuz zu der Lollardin
hinauf, und erst als sie vor den ersten Rauchschwaden zurücksprangen, wusste
die Menge, dass das Feuer entzündet worden war.
    Die Leute wogten nach vorn,
brüllten. Wachen bildeten eine Barriere mit Knüppeln und riefen mit mächtigen
tiefen Stimmen: zurück, zurück, zurück, und die Menge kreischte und fiel zurück
und dann drängte sie wieder nach vorn, brüllte und rief im Sprechchor, als wäre
es ein Spiel. Wirbelnder Rauch versperrte ihnen die Sicht, und die Leute
wedelten hustend mit den Händen. Riecht sie!, brüllten sie. Riecht die alte
Sau! Er hatte die Luft angehalten, damit er die alte Frau nicht einatmete. In
dem Rauch schrie die Lollardin. Jetzt ruft sie die Heiligen an!, sagten sie.
Die Frau beugte sich hinab und sagte ihm ins Ohr: Wusstest du, dass sie im
Feuer bluten? Manche Leute glauben, sie verschrumpeln nur, aber ich hab es
schon öfter gesehen und weiß, wie es ist.
    Als  sich der Rauch verzogen
hatte und sie wieder sehen konnten, stand die alte Frau in Flammen. Die Menge
begann zu jubeln. Sie hatten gesagt, es würde nicht lange dauern, aber es
dauerte lange, bis das Schreien

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