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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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aufhörte, zumindest schien es ihm so. Betet
denn keiner für sie, fragte er, und die Frau sagte: Wozu denn? Selbst als
nichts mehr von der alten Frau übrig war, das schreien konnte, wurde das Feuer
noch geschürt. Die Wachen standen am Rand, stampften brennende Strohfetzen
aus, die wegzufliegen drohten, und stießen größere Teile zurück.
    Als  die Menge sich zerstreute
und schwatzend nach Hause ging, konnte man die erkennen, die auf der falschen
Seite des Feuers gestanden hatten, denn ihre Gesichter waren grau von
Holzasche. Er wollte auch nach Hause gehen, aber dann dachte er wieder an
Walter, der an diesem Morgen gesagt hatte, er würde ihn scheibchenweise töten.
Er sah zu, wie die Wachen mit ihren Eisenstangen auf die menschlichen Überreste
einschlugen. An den Ketten waren Fleischreste hängen geblieben. Er trat auf die
Männer zu und fragte: Wie heiß muss das Feuer sein, um Knochen zu verbrennen?
Er erwartete, dass sie über diese Kenntnisse verfugten. Aber sie verstanden
seine Frage nicht. Leute, die keine Schmiede sind, glauben, dass alle Feuer
gleich sind. Bei seinem Vater hatte er gelernt, wie unterschiedlich Rot sein
kann: Sonnenuntergangsrot, Kirschrot, das helle gelbliche Rot, das keinen
Namen hat, es sei denn, man nennt es Scharlachrot.
    Der Schädel der Lollardin lag
auf dem Boden, auch die langen Knochen ihrer Arme und Beine. Ihr gebrochener
Brustkorb war nicht viel größer als der eines Hundes. Ein Mann nahm eine Eisenstange
und stieß sie durch das Loch, wo das linke Auge der Frau gewesen war. Er hob
den Schädel an der Stange in die Höhe und stellte ihn auf die Steine, sodass
der Schädel ihn ansah. Dann schwang der Mann die Stange und ließ sie auf die
Stirn niedersausen. Noch bevor der Schlag landete, wusste er, dass er falsch
war, falsch platziert. Wie eine Sternschnuppe flog ein Knochensplitter in den
Dreck, aber der größte Teil des Schädels war heil geblieben. Jesus, sagte der
Mann. Hier, Junge, willst du mal? Ein kräftiger Schlag, und sie ist hin.
    Normalerweise sagte er zu
jeder Aufforderung ja. Jetzt aber wich er zurück, die Hände hinter dem Rücken.
Beim Leiden Christi, sagte der Mann, ich wünschte, ich könnte auch so
zimperlich sein. Bald darauf begann es zu regnen. Die Männer wischten sich die
Hände ab, putzten sich die Nase und ließen die Arbeit liegen. Sie warfen ihre
Eisenstangen in das, was von der Lollardin übrig war. Das waren nur noch
Knochensplitter und dicke matschige Asche. Er hob eine der Eisenstangen auf
für den Fall, dass er eine Waffe brauchte. Er befingerte das spitz zulaufende
Ende, das wie ein Meißel geformt war. Er wusste nicht, wie weit er von zu Hause
weg war und ob Walter ihm nachkommen würde. Er überlegte, wie man eine Person
scheibchenweise tötete, ob man sie verbrannte oder in Stücke schnitt. Er hätte
die Wachen fragen sollen, als sie noch da waren, denn als Diener der Stadt
würden sie es wissen.
    Der Gestank der Frau hing noch
in der Luft. Er überlegte, ob sie jetzt in der Hölle war oder immer noch durch
die Straßen streifte, aber er hatte keine Angst vor Geistern. Sie hatten eine
Tribüne für die Herren errichtet; zwar war der Baldachin abgenommen worden,
aber sie war hoch genug über dem Boden, dass er sich zum Schutz unter sie hocken
konnte. Er betete für die Frau, weil er glaubte, es könnte nicht schaden. Er
bewegte die Lippen beim Beten. Regenwasser sammelte sich über ihm und fiel in
dicken Tropfen durch die Planken. Er zählte die Zeit zwischen den Tropfen und
fing sie in der hohlen Hand auf. Das machte er nur zum Zeitvertreib. Es
dämmerte. Wäre es ein normaler Tag gewesen, wäre er inzwischen hungrig und
hätte sich auf die Suche nach Essbarem gemacht.
    Im Zwielicht kamen einige
Männer und auch Frauen; weil Frauen dabei waren, wusste er, dass sie keine
Wachen waren oder Leute, die ihm etwas tun würden. Sie rückten zusammen und
bildeten einen lockeren Kreis um den Scheiterhaufen. Er kroch aus seinem
Versteck unter der Tribüne hervor und näherte sich ihnen. Sie fragen sich
bestimmt, was hier passiert ist, sagte er. Aber sie sahen nicht zu ihm hin und
sprachen auch nicht mit ihm. Sie fielen auf die Knie, und er glaubte, sie
würden beten. Ich habe auch für sie gebetet, sagte er.
    Das hast du? Guter Junge,
sagte einer der Männer. Er sah nicht einmal auf. Wenn er mich ansieht, dachte
er, wird er merken, dass ich nicht gut bin, sondern ein nichtsnutziger Junge,
der mit seinem Hund loszieht und vergisst, die Sole für

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