Mantel, Hilary
dem Jungen und
bestellt einen zweiten Krug. »Wir möchten nicht ungefällig sein«, sagt ihr
Sprecher. »Aber Sie müssen wissen, dass Maitre Camillo im Augenblick unter dem
Schutz von König Francois steht.«
»Er beabsichtigt, ein Modell für ihn anzufertigen?«
»Das ist möglich.«
»Ein funktionstüchtiges Modell?«
»Jedes Modell wäre naturgemäß funktionstüchtig.«
»Sollte er seine
Arbeitsbedingungen in irgendeiner Hinsicht unbefriedigend finden, würde mein
Herr, König Henry, ihn mit großer Freude in England willkommen heißen.«
Eine weitere Pause entsteht,
bis der Krug gebracht und der Junge verschwunden ist. Dieses Mal kümmert er
sich selbst ums Ausschenken. Die alten Männer tauschen wiederum Blicke aus,
und einer sagt: »Der Magister glaubt, er würde das englische Klima nicht mögen.
Den Nebel. Und außerdem ist die ganze Insel voller Hexen.«
Das Gespräch ist
unbefriedigend verlaufen. Aber man muss an irgendeinem Punkt beginnen. Als er
geht, sagt er zu dem Jungen: »Du könntest mal hingehen und den Tisch
abwischen.«
»Ich kann aber auch warten,
bis sie den zweiten Krug umgekippt haben, Monsieur.«
»Das stimmt. Bring ihnen etwas zu essen. Was gibt es?«
»Suppe. Kann ich aber nicht
empfehlen. Sie sieht aus wie das, was übrig bleibt, wenn eine Hure ihr Hemd
gewaschen hat.«
»Mir war gar nicht klar, dass die Mädchen in Calais
irgendwas waschen. Kannst du lesen?«
»Ein bisschen.«
»Schreiben?«
»Nein, Monsieur.«
»Du solltest es lernen. Unterdessen
halte die Augen offen. Wenn irgendjemand anders kommt, um mit ihnen zu
sprechen, wenn sie irgendwelche Zeichnungen, Pergamente, Schriftrollen oder
etwas in der Art rausholen, möchte ich das wissen.«
Der Junge sagt: »Worum handelt
es sich, Monsieur? Was haben sie zu verkaufen?«
Fast verrät er es ihm. Was
kann es schaden? Aber am Ende fallen ihm die richtigen Worte nicht ein.
Als die Gespräche in Boulogne
schon eine Weile laufen, erhält er die Nachricht, dass Francois ihn sprechen
möchte. Henry denkt gründlich darüber nach, bevor er ihm die Erlaubnis gibt;
persönlich sollten Monarchen nur mit anderen Monarchen zu tun haben und mit
Lords und hochrangigen Kirchenleuten. Brandon und Howard, die an Bord recht
freundlich waren, verhalten sich ihm gegenüber sehr distanziert, seit sie
gelandet sind, als wollten sie den Franzosen deutlich machen, dass sie ihm
keinen Status zuschreiben; sie tun, als sei er eine Laune Henrys, ein Ratgeber
mit dem Reiz des Neuen, der bald zugunsten eines Viscounts, Barons oder
Bischofs verschwinden wird.
Der französische Bote erklärt ihm: »Es ist keine
Audienz.«
»Nein«, sagt er, »ich verstehe. Nichts dergleichen.«
Nur von einer Handvoll
Höflingen umgeben, sitzt Francois da und wartet auf das, was keine Audienz ist.
Er ist eine Bohnenstange von einem Mann, seine Ellenbogen und Knie ragen in
die Luft, seine großen knochigen Füße bewegen sich ruhelos in riesigen
gepolsterten Pantoffeln. »Cremuel«, sagt er. »Nun, damit ich Sie verstehe. Sie
sind Waliser.«
»Nein, Eure Hoheit.«
Traurige Hundeaugen; sie
mustern ihn, sie mustern ihn noch einmal. »Kein Waliser.«
Er versteht die Schwierigkeit
des französischen Königs. Wie hat er Zugang zum Hof erhalten, wenn er nicht
einer Familie von bescheidenen Gefolgsleuten der Tudors entstammt? »Es war der
verstorbene Kardinal, der mich mit den Angelegenheiten des Königs vertraut
gemacht hat.«
»Ja, das weiß ich«, sagt
Francois, »aber ich denke mir, da muss noch etwas anderes im Spiel sein.«
»Schon möglich, Hoheit«, sagt
er spitz, »aber es dreht sich bestimmt nicht darum, Waliser zu sein.«
Francois berührt die Spitze
seiner überlangen Nase, biegt sie noch näher in Richtung Kinn. Wähle deinen
Fürsten aus: Diesen würdest du nicht jeden Tag angucken wollen. Henry sieht so
gesund aus in seinem geschrubbten rosigen Weiß. Francois sagt, wobei sein Blick
abdriftet: »Es heißt, Sie haben einmal für die Ehre Frankreichs gekämpft.«
Garigliano: Für einen
Augenblick senkt er die Augen, als würde er sich an einen besonders schlimmen
Unfall auf der Straße erinnern: an ein Zerquetschen und irreparables
Verstümmeln von Körpern. »An einem äußerst unglücklichen Tag.«
»Nun ... diese Dinge vergehen.
Wer erinnert sich heute noch an Azincourt?«
Er lacht beinahe. »Das ist
wahr«, sagt er. »Eine Generation oder zwei oder drei... vier ... und diese
Dinge sind nichts mehr.«
Francois sagt: »Es heißt, Sie
haben
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