Mantel, Hilary
Tages wird Francois Ihnen eine Rente anbieten. Sie müssen sie
nehmen. Übrigens, was hat er Sie gefragt?«
»Er hat gefragt, ob ich
Waliser bin. Das schien ihn sehr zu beschäftigen, und es tat mir leid, ihn
enttäuschen zu müssen.«
»Oh, Sie enttäuschen einen
nie«, sagt Henry. »Sobald Sie das tun, werde ich es Sie wissen lassen.«
Zwei Stunden. Zwei Könige. Was
sagst du nun, Walter? Er steht in der salzigen Luft und spricht mit seinem
toten Vater.
Als Francois mit seinem
Bruderkönig nach Calais kommt, ist es Anne, die ihn nach dem großen Festmahl am
Abend zum Tanz führt. Sie hat gerötete Wangen, und ihre Augen glitzern hinter
ihrer vergoldeten Maske. Als sie die Maske senkt und den König von Frankreich
ansieht, hat sie ein merkwürdiges halbes Lächeln aufgesetzt, als trüge sie
hinter der Maske noch eine Maske. Man sieht seinen Kiefer herunterfallen, man
sieht, wie ihm das Wasser im Mund zusammenläuft. Sie schlingt ihre Finger in
seine and führt ihn zu einem Fenstersitz. Eine Stunde lang sprechen sie
Französisch, flüstern, sein glatter dunkler Kopf beugt sich zu ihr hin;
manchmal lachen sie, sehen sich in die Augen. Zweifellos diskutieren sie die
neue Allianz; er scheint zu denken, dass ein weiterer Vertrag in ihrem Mieder
steckt. Einmal greift Francois nach ihrer Hand und hebt sie an. Sie schreckt
halb widerstrebend zurück, und einen Augenblick lang scheint er die Absicht zu
haben, ihre schmalen Finger auf seinen unbeschreiblichen Hosenbeutel zu legen. Alle
wissen, dass Francois vor kurzem die Quecksilberkur gemacht hat. Aber keiner
weiß, ob sie gewirkt hat.
Henry tanzt mit den Ehefrauen
der Notabeln von Calais: die Gigue, den Saltarello. Charles Brandon scheint
seine kranke Frau vergessen zu haben und bringt seine Partnerinnen zum
Kreischen, indem er sie so durch die Luft wirbelt, dass ihre Röcke fliegen.
Aber Henrys Blick wandert immer wieder durch die Halle zu Anne, zu Francois.
Seine ganz persönliche Angst hat seinen Rücken steif werden lassen. Auf seinem
Gesicht zeigt sich ein gequältes Lächeln.
Schließlich denkt er: Ich muss
dem ein Ende machen. Kann es sein, dass ich meinen König wirklich liebe, wie es
ein Untertan sollte?
Er stöbert Norfolk in der
dunklen Ecke auf, in der dieser sich vor lauter Angst versteckt, dass man ihm
befielt, mit der Frau des Gouverneurs zu tanzen. »Mylord, holen Sie Ihre
Nichte da weg. Sie hat genug Diplomatie gemacht. Unser König ist eifersüchtig.«
»Was? Worüber beschwert er sich
denn jetzt, zum Teufel?« Aber Norfolk sieht mit einem Blick, was los ist. Er
flucht und durchquert den Raum - geht mitten durch die Tänzer, nicht um sie
herum. Er packt Anne beim Handgelenk und biegt es so heftig zurück, als wolle
er es brechen. »Mit Ihrer Erlaubnis, Hoheit. Mylady, wir tanzen.« Er zieht sie
schnell auf die Füße. Sie tanzen auch, obwohl es keine Ähnlichkeit mit
irgendeinem Tanz hat, der je zuvor in einer Halle gesehen wurde. Im Falle des
Herzogs kommt es einem Donnern mit Dämonenhufen gleich, ihrerseits einer
bleichen Kapriole, bei der ein Arm wie ein gebrochener Flügel gehalten wird.
Er sieht zu Henry hinüber. Auf
dem Gesicht des Königs zeigt sich unverhohlene Genugtuung. Anne musste bestraft
werden, und von wem, wenn nicht von ihrer Verwandtschaft? Die französischen
Lords hocken zusammen und kichern. Francois schaut mit zusammengekniffenen
Augen zu.
In dieser Nacht zieht sich der
König früh zurück und entlässt sogar die Kammerherren; nur Henry Norris geht
ein und aus, gefolgt von einem Handlanger, der Wein trägt, Früchte, eine große
Steppdecke, dann ein Kohlebecken; es ist kühl geworden. Die Damen ihrerseits
sind bissig und gereizt. Annes erhobene Stimme ist gehört worden. Türenschlagen.
Während er mit Thomas Wyatt spricht, kommt Mistress Shelton auf ihn zugerast.
»Mylady möchte eine Bibel!«
»Master Cromwell kann das
gesamte Neue Testament auswendig«, sagt Wyatt hilfsbereit.
Das Mädchen sieht gequält aus.
»Ich glaube, sie braucht sie, um darauf zu schwören.«
»In diesem Fall bin ich
nutzlos.«
Wyatt greift nach ihren
Händen. »Wer hält Sie heute Nacht warm, junge Shelton?« Sie entzieht sich ihm,
schießt auf der Suche nach der Heiligen Schrift davon. »Ich sage Ihnen, wer.
Henry Norris.«
Er sieht dem Mädchen nach.
»Was, sie zieht Lose?«
»Ich hatte Glück.«
»Der König?«
»Vielleicht.«
»Vor kurzem?«
»Anne würde allen beiden das
Herz rausreißen und es rösten.«
Er hat das
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