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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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bröckelnd - und The Pale, das Gebiet jenseits der
Stadtmauern, das englischer Jurisdiktion unterliegt, seine Wälder, Dörfer und
Marschen, seine Schleusen, Deiche und Kanäle. Er kennt die Straße nach Boulogne
und die Straße nach Gravelines auf dem Territorium des Kaisers, und er weiß,
dass jeder der beiden Monarchen, Francois oder Karl, diese Stadt Calais mit
einem einzigen entschlossenen Vorstoß nehmen könnte. Die Engländer sind seit
zweihundert Jahren hier, aber auf den Straßen wird inzwischen mehr Französisch
und Flämisch gesprochen.
    Der Gouverneur begrüßt Seine
Majestät; Lord Berners, alter Soldat und Gelehrter, ist ein Muster altmodischer
Tugend, und würde er nicht hinken und sich ganz offensichtlich über die enormen
Ausgaben grämen, die ihm jetzt entstehen, könnte er direkt aus dem Buch vom Hofmann kommen. Er hat sogar dafür
gesorgt, König und Marquess in Räumen mit einer Verbindungstür unterzubringen.
»Ich denke, das wird sich als angemessen erweisen, Mylord«, sagt er, Cromwell.
»Solange es auf beiden Seiten einen starken Riegel gibt.«
    Denn bevor sie trockenes Land
hinter sich ließen, hat Mary zu ihm gesagt: »Bis jetzt wollte sie nicht; jetzt
würde sie, aber er will nicht. Er sagt, wenn sie ein Kind bekommt, muss er ganz
sicher sein, dass es ehelich geboren wird.«
    Die Monarchen werden fünf Tage
lang in Boulogne zusammenkommen, dann fünf Tage in Calais. Der Gedanke, dass
sie zurückgelassen werden soll, kränkt Anne. An ihrer Rastlosigkeit erkennt
er, dass sie weiß: Dieses Land ist umstritten, hier können unvorhersehbare
Dinge geschehen. Unterdessen muss er sich um ein privates Geschäft kümmern. Er
lässt sogar Rafe zurück und begibt sich verstohlen in ein Gasthaus, das sich in
einem Hinterhof an der Calkwell Street befindet.
     
    Es ist ein schäbiger Ort, wo
es nach Holzfeuer, Fisch und Schimmel riecht. An einer Seitenwand hängt ein
trüber Spiegel, in dem er sein eigenes Gesicht erblickt: blass, nur die Augen
lebendig. Einen Augenblick lang ist er schockiert; man erwartet in einer
Bruchbude wie dieser nicht, das eigene Gesicht zu sehen.
    Er setzt sich an einen Tisch
und wartet. Nach fünf Minuten bewegt sich die Luft im hinteren Teil des Raumes.
Aber nichts passiert. Er hat geahnt, dass sie ihn warten lassen würden; um sich
die Zeit zu vertreiben, geht er im Kopf Zahlen durch: die Einnahmen des Königs
aus dem Herzogtum Cornwall im letzten Jahr. Er will sich gerade den Zahlen zuwenden,
die der Kämmerer von Chester vorgelegt hat, als plötzlich ein großer dunkler
Fleck auftaucht und zur Person eines alten Mannes in einem langen Gewand wird.
Er wankt voran, und alsbald folgen ihm zwei weitere Männer. Sie sind alle
miteinander austauschbar: hohles Husten, lange Barte. Gemäß einer Rangordnung,
die sie durch Grunzen aushandeln, nehmen sie auf einer Bank ihm gegenüber
Platz. Er hasst Alchimisten, und in seinen Augen sehen sie wie Alchimisten
aus: ominöse Kleckser auf der Kleidung, tränende Augen, von Dämpfen
verursachtes Schniefen. Er begrüßt sie auf Französisch. Sie schaudern, und
einer von ihnen fragt auf Latein, ob sie denn nichts zu trinken bekommen. Er
ruft nach dem Jungen und fragt ihn ohne große Hoffnung, was er empfiehlt.
»Irgendwo anders trinken?«, schlägt der Junge vor.
    Ein Krug mir etwas Säuerlichem
kommt. Er lässt die alten Männer einen ordentlichen Schluck nehmen, bevor er
sagt: »Wer von Ihnen ist Maitre Camillo?«
    Sie wechseln Blicke. Dazu
brauchen sie so lange wie die Graien, wenn sie ihr einziges gemeinsames Auge
weitergeben.
    »Maitre Camillo ist nach
Venedig gegangen.«
    »Warum?«
    Einiges Husten. »Für
Beratungen.«
    »Aber er hat die Absicht, nach Frankreich
zurückzukehren?«
    »Recht wahrscheinlich.«
    »Die Sache, die Sie haben, ich
will sie für meinen Herrn.«
    Stille. Wie wäre es, denkt er,
wenn ich ihnen den Wein wegnehme, bis sie etwas Sinnvolles sagen? Doch einer
von ihnen kommt ihm zuvor und schnappt sich den Krug; seine Hand zittert, und
der Wein ergießt sich auf den Tisch. Die anderen beiden meckern verärgert.
    »Ich dachte, Sie würden Zeichnungen mitbringen«, sagt
er. Sie tauschen Blicke aus. »Oh nein.«
    »Aber es gibt Zeichnungen?«
    »Nicht als solche.«
    Der verschüttete Wein beginnt,
in das zersplitterte Holz zu sickern. Sie sitzen griesgrämig und stumm da und
sehen zu, wie das passiert. Einer von ihnen beschäftigt sich damit, einen
Finger durch ein Mottenloch in seinem Ärmel zu stecken.
    Er ruft nach

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