Mantel, Hilary
er würde König werden.« Überflüssig hinzuzufügen: Buckingham war
ein Verräter und ist seit mehr als zehn Jahren tot.
Als der Hof nach Frankreich
segelt, ist er in der Gruppe des Königs auf der Swallow. Er ist an Deck und sieht
England in der Ferne verschwinden; neben ihm steht der Herzog von Richmond,
Henrys Bastard, der aufgeregt ist, weil er das erste Mal eine Seereise macht,
und das auch noch in Gesellschaft seines Vaters. Fitzroy ist ein hübscher Junge
von dreizehn Jahren, blond, groß für sein Alter, aber schlank: Henry, wie er als
junger Prinz gewesen sein muss. Der Junge ist mit einem ausgeprägten
Bewusstsein seiner selbst und seiner Würde begabt. »Master Cromwell«, sagt er,
»ich habe Sie seit dem Fall des Kardinals nicht gesehen.« Ein etwas peinlicher
Augenblick. »Ich bin froh, dass es Ihnen gut geht. Denn in dem Buch mit dem
Titel 77 Cortegiano wird
gesagt, dass wir in Männern niederer Abkunft oft hohe Gaben der Natur sehen.«
»Sie lesen italienisch, Sir?«
»Nein, aber Teile dieses
Buches sind für mich ins Englische übertragen worden. Es ist eine sehr gute
Lektüre für mich.« Eine Pause. »Ich wünschte« - er wendet den Kopf und senkt
die Stimme - »ich wünschte, der Kardinal wäre nicht tot. Denn jetzt ist der
Herzog von Norfolk mein Vormund.«
»Und ich höre, dass Euer Gnaden seine Tochter Mary
heiraten wird.«
»Ja. Ich will aber nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich habe sie gesehen. Sie hat keine Brüste.«
»Aber sie hat einen wachen
Verstand, Mylord. Und die Zeit heilt vielleicht die andere Sache, bevor Sie
zusammenleben werden. Wenn Ihre Leute jenen Teil von Castigliones Buch für Sie
übersetzen, der sich auf Damen und ihre Tugenden bezieht, werden Sie mit
Sicherheit feststellen, dass Mary Howard jede einzelne davon besitzt.«
Wir wollen nur hoffen, denkt
er, dass es sich nicht so entwickelt wie Harry Percys Ehe oder George Boleyns.
Auch des Mädchens wegen; Castiglione sagt, dass alles, was von Männern
verstanden werden kann, auch von Frauen verstanden werden kann, dass ihr
Verständnis und ihre Fähigkeiten gleich sind und zweifellos ihre Abneigungen
und Vorlieben. Castiglione liebte seine Frau Ippolita, sie starb jedoch,
nachdem er sie erst vier Jahre lang zur Frau gehabt hatte. Er schrieb ein
Gedicht für sie, eine Elegie, aber er schrieb es, als würde Ippolita schreiben:
Die tote Frau spricht mit ihm.
Im Kielwasser des Schiffs
schreien die Möwen wie verlorene Seelen. Der König kommt an Deck und sagt,
seine Kopfschmerzen seien verschwunden. Er sagt: »Majestät, wir haben über
Castigliones Buch gesprochen. Haben Sie Zeit gefunden, es zu lesen?«
»In der Tat. Er rühmt die sprezzatum. Die Kunst, alles gut und mit
Anmut zu tun, ohne den Anschein von Mühe. Eine Eigenschaft, die auch Fürsten
pflegen sollten.« Er fügt etwas unsicher hinzu: »König Francois hat sie.«
»Ja. Aber neben der sprezzatum muss man zu jeder Zeit eine
würdevolle Zurückhaltung in der Öffentlichkeit zeigen. Ich habe schon daran
gedacht, vielleicht als Geschenk für Mylord Norfolk eine Übersetzung in Auftrag
zu geben.«
Sicher steht das Bild dem
König noch vor Augen: Thomas Howard in Canterbury, der droht, der heiligen
Nonne einen Hieb zu versetzen. Henry grinst. »Das sollten Sie tun.«
»Gut, aber vielleicht würde er
es als Vorwurf auffassen. Castiglione empfiehlt, dass ein Mann sich keine
Locken drehen oder die Augenbrauen zupfen sollte. Und Sie wissen ja, dass
Mylord beides tut.«
Das Prinzchen runzelt die
Stirn. »Mylord von Norfolk?« Henry bricht in ein unkönigliches gellendes
Gelächter aus, das weder würdig noch zurückhaltend ist. Seinen Ohren ist es
willkommen. Die Schiffsplanken knarren. Der König hält sein Gleichgewicht,
indem er ihm eine Hand auf die Schulter legt. Der Wind spannt die Segel. Die
Sonne tanzt über das Wasser. »Eine Stunde und wir sind im Hafen.«
Calais, dieser englische
Vorposten, Englands letzter Zugriff auf Frankreich, ist eine Stadt, in der er
viele Freunde hat, viele Kunden, viele Mandanten. Er kennt sich dort aus,
kennt Watergate und Lantern Gate, die St Nicholas Church und die Church of Our
Lady, er kennt seine Türme und Bollwerke, seine Märkte, Höfe und Kais, Staple
Inn, wo der Gouverneur wohnt, und die Häuser der Familien Whethill und
Wingfield, Häuser mit schattigen Gärten, wo Herren angenehm zurückgezogen von
einem England leben, von dem sie behaupten, es nicht mehr zu verstehen. Er
kennt die Befestigungen -
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