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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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Gefühl, in der Nähe
bleiben zu müssen, falls Henry nach ihm ruft. Er findet eine Ecke, in der er
eine Partie Schach mit Edward Seymour spielen kann. Zwischen den Zügen: »Ihre
Schwester Jane ...«, sagt er.
    »Merkwürdiges kleines Wesen, nicht wahr?«
    »Wie alt ist sie eigentlich?«
    »Ich weiß nicht ... zwanzig
oder so? Sie ist in Wolf Hall herumgelaufen und hat gesagt: >Das sind
Thomas Cromwells Ärmel<, und keiner wusste, wovon sie sprach.« Er lacht.
»Sie war sehr zufrieden mit sich.«
    »Hat Ihr Vater schon eine Ehe
für sie arrangiert?«
    »Es wurde darüber geredet,
dass ...« Er sieht auf. »Warum fragen Sie?«
    »Nur zu Ihrer Zerstreuung.«
    Tom Seymour platzt durch die
Tür. »N'Abend, Großväterchen«, ruft er seinem Bruder zu. Er reißt sich die
Kappe herunter und rauft sich die Haare. »Auf uns warten Frauen.«
    »Mein Freund hier rät davon
ab.« Edward schüttelt seine Kappe aus. »Er sagt, sie sind genau wie die
Engländerinnen, nur schmutziger.«
    »Die Stimme der Erfahrung?«,
sagt Tom.
    Edward setzt seine Kappe
ordentlich wieder auf. »Wie alt ist eigentlich unsere Schwester Jane?«
    »Einundzwanzig,
zweiundzwanzig. Warum?«
    Edward sieht auf das
Schachbrett und greift nach seiner Königin. Er merkt, dass er in der Falle
sitzt. Er sieht anerkennend auf. »Wie haben Sie das geschafft?«
     
    Später sitzt er vor einem
leeren Stück Papier. Er will einen Brief an Cranmer schreiben und ihn in alle
vier Winde zerstreuen, auf die Suche durch Europa schicken. Er nimmt seine
Feder auf, aber er schreibt nicht. Im Geist kehrt er zu seiner Unterhaltung mit
Henry über den Rubin zurück. Sein König stellt sich vor, er würde sich an
Hintertreppengemauschel von der Art beteiligen, die ihn vielleicht in jenen
Tagen amüsiert hätte, als er noch Cupidos auf antik getrimmt und an Kardinäle
verkauft hat. Aber wenn man sich gegen solche Anschuldigungen verteidigt, wirkt
man schuldig. Und ist es verwunderlich, wenn Henry ihm nicht völlig traut? Ein
Fürst ist allein: in seiner Ratskammer, in seiner Bettkammer und schließlich
in der Vorkammer zur Hölle, nackt und ohne Gefolge - wie Harry Percy gesagt hat
- wartet er auf das Jüngste Gericht.
    Der Besuch in Calais hat die
Streitigkeiten und Intrigen des Hofes komprimiert, innerhalb der Stadtmauern
sitzen sie auf engstem Raum in der Falle. Die Reisenden sind so eng miteinander
verbunden wie Spielkarten in einem Packen: Sie berühren sich, aber ihre
Papieraugen sind blind. Er fragt sich, wo Tom Wyatt ist und in welcher Art von
Schwierigkeiten. Er glaubt nicht, schlafen zu können: aber nicht, weil er sich
Sorgen um Wyatt macht. Er geht ans Fenster. Als  ob er beschämt wäre, zieht der
Mond schwarze Wolkenfetzen hinter sich her.
    In den Gärten brennen Fackeln
auf Mauerkonsolen, aber er geht vom Licht weg. Das schwache Schieben und Ziehen
des Meeres ist so beständig und beharrlich wie sein eigener Herzschlag. Er
weiß, dass er nicht allein ist in dieser Dunkelheit, und einen Augenblick
später ist da ein Schritt, ein Rascheln von Röcken, ein leichtes Luftholen,
eine Hand, die auf seinen Arm gleitet. »Sie«, sagt Mary. »Ich.«
    »Wissen Sie, dass sie die Tür
zwischen sich entriegelt haben?« Sie lacht, ein gnadenloses Kichern. »Sie liegt
in seinen Armen, nackt, wie sie geboren wurde. Jetzt kann sie nicht mehr
zurück.«
    »Heute Abend, dachte ich,
würden sie sich streiten.«
    »Das haben sie. Sie mögen
Streit. Sie behauptet, Norfolk habe ihr den Arm gebrochen. Henry beschimpfte
sie als Magdalena und nannte noch ein paar andere Namen, die ich vergessen
habe, aber ich glaube, es waren römische Damen. Nicht Lucrezia.«
    »Nein. Wenigstens hoffe ich
das. Wofür wollte sie die Bibel haben?«
    »Um ihm den Eid abzunehmen.
Vor Zeugen. Mir. Norris. Er hat ein bindendes Versprechen gegeben. Sie sind vor
dem Angesicht Gottes verheiratet. Und er schwört, dass er sie in England noch
einmal heiraten und zur Königin krönen wird, wenn der Frühling kommt.«
    Er denkt an die Nonne in
Canterbury: Wenn Sie eine Form der Ehe mit dieser unwürdigen Frau eingehen,
werden Sie keine sieben Monate mehr regieren.
    »Jetzt also«, sagt Mary,
»steht nur noch in Frage, ob er sich in der Lage sieht, die Tat zu
vollbringen.«
    »Mary.« Er nimmt ihre Hand.
»Machen Sie mir keine Angst.«
    »Henry ist schüchtern. Er
glaubt, man erwartet eine königliche Vorstellung. Aber wenn er schüchtern sein
sollte, wird Anne wissen, wie sie ihm helfen kann.« Vorsichtig fügt sie

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