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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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aufhört, sind Sie naiver, als
ich dachte. Sie mögen in Seymours Tochter verliebt sein, aber Sie brauchen ihr
nicht nachzueifern und den Witz eines Schafs anzustreben.«
    Er lächelt. »Das ist üble
Nachrede. Schafhirten sagen, dass Schafe sich gegenseitig erkennen. Sie hören
auf ihre Namen. Sie schließen Freundschaften fürs Leben.«
    »Und ich erzähle Ihnen, wer
zwischen allen Schlafkammern hin und her flitzt. Es ist dieser kriecherische
Mark. Er macht für alle den Liebesboten. Mein Mann bezahlt ihn mit
Perlmuttknöpfen und Konfektschachteln und Federn für seinen Hut.«
    »Warum, mangelt es Lord
Rochford an Bargeld?«
    »Sehen Sie da etwa eine
Möglichkeit, Wucher zu treiben?«
    »Wie nicht?« Zumindest, denkt
er, gibt es einen Punkt, in dem wir uns einig sind: eine unbegründete Abneigung
gegen Mark. In Wolseys Haus hatte er Pflichten, musste die Chorkinder
unterrichten. Hier tut er nichts als herumzustehen, wo immer der Hof ist, in
größerer oder kleinerer Entfernung zu den Räumen der Königin. »Ich kann keine
Gefahr in dem Jungen erkennen«, sagt er.
    »Er klebt wie eine Klette an
Leuten, die über ihm stehen. Er kennt seine Stellung nicht. Er ist ein
aufgeblasener Niemand, der seine Chance ergreift, weil die Zeiten in Unordnung
sind.«
    »Ich vermute, Sie könnten
dasselbe von mir sagen, Lady Rochford. Und ich bin mir sicher, dass Sie das
auch tun.«
     
    Thomas Wyatt bringt ihm Körbe
mit Hasel- und Lambertsnüssen, scheffelweise Äpfel aus Kent. Er ist selbst auf
dem Karren nach Austin Friars mitgekommen und hat sich durchrütteln lassen.
»Das Rehfleisch kommt später«, sagt er, als er hinunterspringt. »Ich bin lieber
mit den frischen Früchten gekommen als mit den Kadavern.« Sein Haar riecht nach
Äpfeln, seine Kleider sind staubig von der Straße. »Jetzt werden Sie mich
ermahnen«, sagt er, »weil ich mein teures Wams riskiert habe ...«
    »Das so viel kostet, wie der
Kärrner pro Jahr verdient.« Wyatt sieht einsichtig aus. »Ich vergesse immer,
dass Sie mein Vater sind.«
    »Ich habe Sie getadelt, also
können wir uns jetzt den Männergesprächen zuwenden.« Er steht in einem Streifen
der milden Herbstsonne und hält einen Apfel in der Hand. Er schält ihn mit
einer dünnen Klinge, und die Schale fällt leise vom Fruchtfleisch und bleibt
zwischen seinen Papieren liegen wie der Schatten eines Apfels, grün auf weißem
Papier und schwarzer Tinte. »Haben Sie Lady Carey gesehen, als Sie auf dem
Land waren?«
    »Mary Boleyn auf dem Land.
Welch taufrische Freuden kommen einem da in den Sinn. Ich vermute, sie brunftet
auf irgendeinem Heuboden.«
    »Ich möchte nur an ihr
festhalten, für das nächste Mal, wenn ihre Schwester hors de combat ist.«
    Wyatt setzt sich zwischen die
Akten, einen Apfel in der Hand. »Cromwell, angenommen, Sie wären sieben Jahre
lang nicht in England gewesen. Sie wären wie ein Ritter in einer Geschichte
mit einem Zauberbann belegt worden. Sie würden sich umsehen und sich wundern:
Wer sind sie, diese Leute?«
    Diesen Sommer würde er in Kent
bleiben, hat Wyatt geschworen. An feuchten Tagen würde er lesen und schreiben,
bei gutem Wetter jagen. Aber der Herbst kommt, und die Nächte werden länger,
und Anne zieht ihn zurück und zurück. Sein Herz ist wahrhaftig, glaubt er: und
wenn sie falsch ist, ist es schwer zu entscheiden, wo die Falschheit liegt. Man
kann im Augenblick nicht mit Anne scherzen. Man kann nicht lachen. Man muss sie
für vollkommen halten, oder sie ersinnt eine Strafe.
    »Mein alter Vater spricht über
die Tage König Edwards. Er sagt, siehst du jetzt, warum es nicht gut für den
König ist, eine Untertanin, eine Engländerin zu heiraten?«
    Das Problem ist, dass Anne den
Hof zwar erneuert hat, dass es aber immer noch Menschen gibt, die sie vorher
kannten, in den Tagen, als sie aus Frankreich kam, als sie sich daranmachte,
Harry Percy zu verführen. Sie wetteifern darin, Geschichten darüber zu
erzählen, wie unwürdig sie ist. Oder unmenschlich. Dass sie eine Schlange ist.
Oder ein Schwan. Una Candida cerva. Eine vereinzelte Hirschkuh,
die zwischen silbrig-grauen Blättern verborgen ist; zitternd versteckt sie sich
zwischen den Bäumen und wartet auf den Geliebten, der sie vom Tier zur Göttin
zurückverwandeln wird. »Schicken Sie mich nach Italien zurück«, sagt Wyatt.
Ihre dunklen, ihre glänzenden, ihre schräg stehenden Augen: Sie verfolgt mich.
In der Nacht kommt sie zu mir in mein einsames Bett.
    »Einsam? Das glaube ich
nicht.«
    Wyatt

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