Mantel, Hilary
Mary...«, sagt Norfolk.
Diese Worte lassen sie in Tränen ausbrechen. Sie läuft in ihr Zimmer und
schließt sich ein.
Suffolk geht nach Norden, nach
Buckden, um Katherine dazu zu bewegen, in ein anderes Haus zu ziehen. Sie hat
von der Absicht gehört, sie an einen Ort zu schicken, der noch feuchter ist als
Buckden, und sagt, die Feuchtigkeit würde sie umbringen, deshalb schließt sie
sich ein, schiebt mit Getöse die Riegel vor und ruft Suffolk in drei Sprachen
zu, er solle verschwinden. Sie wird nirgendwohin gehen, sagt sie, es sei denn,
er ist bereit, die Tür aufzubrechen und sie mit Stricken zu fesseln und
davonzutragen. Was Charles für ein bisschen extrem hält.
Brandons Brief nach London, in
dem er um Instruktionen bittet, klingt nach großem Selbstmitleid: Ein Mann mit
einer vierzehnjährigen Braut, die darauf wartet, dass er sich ihrer annimmt,
soll so die Feiertage verbringen! Als der Brief im Kronrat vorgelesen wird,
bricht er, Cromwell, in Gelächter aus. Die helle Freude darüber trägt ihn ins
neue Jahr.
Es gibt eine junge Frau, die
über die Landstraßen des Königreichs wandert und sagt, sie sei Prinzessin Mary
und ihr Vater habe sie rausgeworfen, sodass sie betteln müsse. Sie ist im
Norden bis nach York gelangt und im Osten bis nach Lincoln, und einfache Leute
in diesen Grafschaften beherbergen und verköstigen sie und geben ihr Geld zum
Abschied. Er lässt Ausschau nach ihr halten, aber seine Leute haben sie noch
nicht gefunden. Er weiß nicht, was er mit ihr tun würde, wenn er sie fasst. Es
ist Strafe genug, die Last einer Prophezeiung auf sich zu nehmen und sich
schutzlos auf die winterlichen Straßen zu begeben. Er stellt sie sich vor: eine
graubraune, kleiner werdende Gestalt, die über die flachen, matschigen Felder
auf den Horizont zumarschiert.
Der Blick des Malers
1534
Als Hans das fertige Porträt nach Austin Friars
bringt, schreckt er davor zurück. Er erinnert sich, dass Walter immer sagte:
Sieh mir ins Gesicht, Junge, wenn du mir eine Lüge erzählst.
Er sieht in die untere Ecke
des Bildes und erlaubt seinem Blick, langsam nach oben zu wandern. Eine Feder,
eine Schere, Papiere, sein Siegel in einem kleinen Beutel und ein schwerer
Band, gebunden in schwärzliches Grün: das Leder mit Goldprägung am Rand,
vergoldete Schnitte. Hans wollte seine Bibel sehen, wies sie aber als zu
unscheinbar, zu abgegriffen zurück. Er hatte das Haus abgesucht und den schönsten
Band, den er besitzt, auf dem Schreibtisch von Thomas Avery gefunden. Es ist
das Werk des Mönchs Pacioli, das Buch darüber, wie man seine Bücher führen
soll, das ihm seine liebenswürdigen Freunde aus Venedig geschickt haben.
Er sieht seine gemalte Hand,
die auf dem Tisch vor ihm ruht und in der lockeren Faust ein Stück Papier hält.
Es ist unheimlich, sich selbst in Teilstücken zu betrachten, Finger um Finger,
als wäre man zerlegt worden. Hans hat seine Haut so glatt gemacht wie die Haut
einer Kurtisane, aber die Bewegung hat er eingefangen, die Biegung der Finger
ist so sicher wie die eines Schlächters, wenn er das tödliche Messer in die
Hand nimmt. Er trägt den Türkis des Kardinals.
Er hatte einen eigenen
Türkisring, früher einmal, den Liz ihm geschenkt hat, als Gregory geboren
wurde. Es war ein Ring in der Form eines Herzens.
Er lässt den Blick zu seinem
eigenen Gesicht gleiten. Es ist kein großer Fortschritt im Vergleich zu dem
Osterei, das Jo gemalt hat. Plans hat ihn auf kleinem Raum eingepfercht und
einen schweren Tisch vor ihn geschoben, um ihn festzuhalten. Er hatte Zeit zum
Denken, während Hans ihn zeichnete, und seine Gedanken trugen ihn weit weg, in
ein anderes Land. Man kann diese Gedanken hinter seinen Augen nicht aufspüren.
Er hatte darum gebeten, in
seinem Garten gemalt zu werden. Hans sagte: Allein der Gedanke daran lässt mich
schwitzen. Können wir es vielleicht einfach gestalten, ja?
Er trägt seine Winterkleider.
Darunter scheint er aus einer undurchdringlicheren Substanz zu bestehen als
die meisten Menschen, geballter. Er könnte ebenso gut eine Rüstung tragen. Er
sieht den Tag voraus, an dem er es vielleicht muss. Es gibt Männer in diesem
Königreich und im Ausland (nicht mehr nur in Yorkshire), die ihn eher erstechen
würden, als ihn anzusehen.
Ich bezweifle, denkt er, dass
sie das Herz durchstoßen können. Der König hatte gesagt: Woraus sind Sie
gemacht?
Er lächelt. Es gibt nicht die
Spur eines Lächelns auf dem Gesicht seines gemalten Selbst.
»In
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