Mantel, Hilary
Claricia.«
»Wir wissen nichts von ihr«,
sagt Katherine oder vielleicht Mary. »Es wäre auch überraschend.« Mit der
Fingerspitze erkundet sie die Äpfel. Möglicherweise weiß sie nicht, wie selten
sie sind oder dass sie das beste Geschenk sind, das der Prior finden konnte.
Wenn Sie sie nicht mögen, sagt er, oder wenn Sie es tun, ich habe Kochbirnen.
Jemand hat mir fünfhundert geschickt.
»Ein Mann, der auf sich
aufmerksam machen will«, sagt Katherine oder Mary, und die andere sagt:
»Fünfhundert Pfund wären besser gewesen.«
Die Frauen lachen, aber ihr
Lachen ist kalt. Er erkennt, dass er sich nie gut mit ihnen verstehen wird. Er
mag den Namen Claricia und wünscht, er hätte ihn für die Tochter des Aufsehers
im Tower vorgeschlagen. Es ist ein Name für eine Frau, von der man träumen
könnte: eine, die man sofort durchschauen würde.
Als das Neujahrsgeschenk für
den König fertig ist, sagt Hans: »Es ist das erste Mal, dass ich sein Porträt
gemalt habe.«
»Sie werden bald noch eines malen, hoffe ich.«
Hans weiß, dass er eine
englische Bibel hat, eine Übersetzung, die fast fertig ist. Aber er legt einen
Finger an die Lippen; es ist zu früh, darüber zu reden, vielleicht nächstes
Jahr. »Wenn Sie sie Henry widmen würden«, sagt Hans, »könnte er sie jetzt noch
ablehnen? Ich setze ihn auf die Titelseite, in aller Herrlichkeit, Oberhaupt
der Kirche.« Hans läuft hin und her, brummt ein paar Zahlen. Er denkt an das
Papier und an die Druckkosten und schätzt seinen Gewinn ab. Lucas Cranach
zeichnet Titelseiten für Luther. »Diese Bilder von Martin und seiner Frau, er
hat körbeweise Drucke verkauft. Und bei Cranach sehen alle wie Schweinchen
aus.«
Das stimmt. Selbst diese
silbrigen Akte, die er malt, haben süße Schweinchengesichter und Arbeiterfüße
und knorpelige Ohren. »Aber wenn ich Henry male, muss ich ihm schmeicheln,
vermute ich. Ihn zeigen, wie er vor fünf Jahren war. Oder zehn.«
»Bleiben Sie bei fünf. Sonst
denkt er, Sie verspotten ihn.«
Hans zieht einen Finger über
den Hals, knickt in den Knien ein und lässt die Zunge heraushängen wie ein
Erhängter; anscheinend stellt er sich jede Methode der Hinrichtung vor.
»Eine entspannte Majestät wäre
angemessen«, sagt er.
Hans strahlt. »Das kriege ich
am laufenden Meter hin.«
Das Ende des Jahres bringt
Kälte und ein grünes wässriges Licht, das sich über die Themse und die Stadt
legt. Briefe fallen leise raschelnd wie große Schneeflocken auf seinen
Schreibtisch: Doktoren der Theologie aus Deutschland, Botschafter aus
Frankreich, Mary Boleyn aus ihrem Exil in Kent.
Er bricht das Siegel. »Hör dir
das an«, sagt er zu Richard. »Mary braucht Geld. Sie sagt, sie weiß, dass sie
nicht so übereilt hätte handeln sollen. Sie sagt, die Liebe habe über die
Vernunft gesiegt.«
»Liebe, das war es?«
Er liest. Sie bedauert keinen
Augenblick, dass sie William Stafford genommen hat. Sie hätte, sagt sie,
andere Ehemänner haben können, mit Titeln und Reichtümern. Aber »wenn ich frei wäre und wählen
könnte, ich versichere Ihnen, Master Secretary, dass ich so viel Ehrlichkeit in
ihm gefunden habe, dass ich lieber mit ihm um mein Brot betteln würde als die
größte Königin der Christenheit zu sein.«
Sie wagt es nicht, ihrer
Schwester, der Königin, zu schreiben. Oder ihrem Vater oder ihrem Onkel oder
ihrem Bruder. Sie sind alle so grausam. Deshalb schreibt sie an ihn ... Er
fragt sich, ob sich Stafford wohl über ihre Schulter gebeugt hat, als sie
schrieb. Hat sie gekichert und gesagt: Thomas Cromwell, ich habe einmal
Hoffnungen bei ihm geweckt.
Richard sagt: »Ich erinnere
mich kaum daran, dass Mary und ich heiraten sollten.«
»Das war zu einer anderen
Zeit.« Und Richard ist glücklich; sieh mal, wie die Dinge sich entwickelt
haben: Wir florieren ohne die Boleyns. Allerdings wurde die Christenheit für
die Boleyn-Heirat auf den Kopf gestellt, damit das rosa Schweinchen in die
Wiege gelegt werden konnte; was ist, wenn es stimmt, wenn Henry übersättigt
ist, wenn das ganze Unternehmen unter einem Fluch steht? »Lass Wiltshire
kommen.«
»Hierher zu den Urkunden?«
»Er kommt, wenn man nach ihm
pfeift.«
Er wird ihn demütigen - auf
seine joviale Weise - und dazu bringen, Mary eine jährliche Summe zu zahlen.
Das Mädchen hat für ihn gearbeitet, auf dem Rücken, und jetzt muss er für ihre
Rente aufkommen. Richard wird im Schatten sitzen und Notizen machen. Das wird
Boleyn an die alten Tage erinnern:
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