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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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die alten Tage, die ungefähr sechs, sieben
Jahre her sind. Letzte Woche hat Chapuys zu ihm gesagt: In diesem Königreich
sind Sie jetzt alles, was der Kardinal war, und mehr.
     
    Es ist Heiligabend, als Alice More kommt, um mit ihm
zu sprechen. Das Licht ist dünn und scharf wie die Schneide eines alten
Messers, und in diesem Licht sieht Alice alt aus.
    Er begrüßt sie wie eine
Prinzessin und führt sie in eines der Zimmer, die neu vertäfelt und bemalt
wurden, wo ein großes Feuer in einem umgebauten Kamin lodert. Die Luft riecht
nach Kiefernzweigen.
    »Sie feiern das Fest hier?«
Alice hat sich Mühe für ihn gegeben, hat das Haar straff unter eine mit
Saatperlen besetzte Haube zurückgesteckt. »Nun! Früher war das hier ein
modriges Loch. Aber mein Mann pflegte zu sagen«, und er bemerkt, dass sie die
Vergangenheit benutzt, »mein Mann pflegte zu sagen: Sperren Sie Cromwell am
Morgen in ein tiefes Verlies und am Abend sitzt er auf einem Plüschkissen,
verspeist Lerchenzungen, und alle Aufseher schulden ihm Geld.«
    »Hat er viel darüber
gesprochen, mich in Verliese einsperren zu wollen?«
    »Es war nur Gerede.« Sie ist
unsicher. »Ich dachte, Sie könnten mich vielleicht zum König bringen. Ich weiß,
dass er immer höflich zu Frauen ist. Und freundlich.«
    Er schüttelt den Kopf. Wenn er
Alice zum König bringt, wird sie darüber reden, wie Henry früher nach Chelsea
gekommen und im Garten spazieren gegangen ist. Sie wird ihn aufregen: seine
Gedanken aufwühlen und ihn an Thomas More denken lassen, was er gegenwärtig
nicht tut. »Er ist sehr beschäftigt mit den französischen Gesandten. Er will in
dieser Saison einen großen Hofhalten. Sie werden mir und meinem
Urteilsvermögen schon trauen müssen.«
    »Sie sind gut zu uns gewesen«,
sagt sie widerwillig. »Ich frage mich, warum. Denn Sie kennen immer einen
Trick.«
    »Der geborene Trickser«, sagt
er. »Kann nichts dafür. Alice, warum ist Ihr Mann so störrisch?«
    »Ich verstehe ihn ebenso wenig
wie die heilige Dreifaltigkeit.«
    »Was sollen wir tun?«
    »Ich denke, er würde dem König
seine Gründe nennen. Nur für sein Ohr bestimmt. Wenn der König ihm vorher
zusichert, dass er ihm alle Strafen erlässt.«
    »Sie meinen, wir sollen ihm
eine Genehmigung zum Hochverrat erteilen? Das kann der König nicht machen.«
    »Bei der heiligen Agnes!
Ausgerechnet Thomas Cromwell sagt dem König, was er nicht machen kann! Ich
weiß, dass der Hahn auf dem Hof herumstolziert, Master, bis eines Tages ein
Mädchen kommt und ihm den Hals umdreht.«
    »Es ist das Gesetz des Landes.
Die Sitte des Landes.«
    »Ich dachte, Henry stünde über
dem Gesetz.«
    »Wir leben nicht in
Konstantinopel, Dame Alice. Obwohl ich nichts gegen die Türken sage. Zurzeit
feuern wir die Ungläubigen sogar an. Solange sie dem Kaiser die Hände binden.«
    »Ich habe nicht mehr viel
Geld«, sagt sie. »Jede Woche muss ich fünfzehn Shilling für seinen Unterhalt
aufbringen. Ich mache mir Sorgen, dass er friert.« Sie schnieft. »Er könnte mir
das natürlich selber sagen. Aber er schreibt mir nicht. Immer nur ihr, ihr,
seinem Liebling Meg. Sie ist nicht mein Kind. Ich wünschte, seine erste Frau wäre da und
könnte mir erzählen, ob sie schon so geboren wurde, wie sie jetzt ist. Sie ist
verschlossen, wissen Sie. Sie behält ihre Meinung für sich, und seine auch. Jetzt,
wo er ihr seine Hemden gegeben hat, damit das Blut rausgewaschen wird, erzählt
sie mir, dass er ein härenes Hemd unter der Wäsche trägt. Das hat er schon
getan, als wir heirateten, und ich habe ihn angefleht, es zu lassen, und
glaubte, er hätte es getan. Aber wie sollte ich es wissen? Er hat alleine
geschlafen und den Riegel vor seine Tür geschoben. Wenn er eine juckende Wunde
hatte, wusste ich das nicht, notgedrungen musste er sich selbst kratzen. Nun,
wie auch immer, die beiden haben das unter sich abgemacht, und ich hatte keinen
Anteil daran.«
    »Alice ...«
    »Glauben Sie nicht, dass ich
keine Zärtlichkeit für ihn empfinde. Er hat mich nicht geheiratet, um wie ein
Eunuch zu leben. Wir hatten Umgang, zu der einen oder anderen Zeit.« Sie
errötet, aber mehr aus Ärger als aus Scham. »Und wenn das so ist, kann man gar
nicht anders, als sich zu sorgen, ob ein Mann vielleicht friert, ob er Hunger
hat; man ist ja ein Fleisch. Man fühlt für ihn wie für ein Kind.«
    »Holen Sie ihn da raus, Alice,
wenn es in Ihrer Macht steht.«
    »Mehr in Ihrer als in meiner.«
Sie lächelt traurig. »Kommt der junge Mann zum

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