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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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Wolf Hall
gesehen habe.«
     
    Als  Neujahrsgeschenk für den
König hat er bei Hans eine Miniatur auf Pergament in Auftrag gegeben, die
Salomon auf seinem Thron beim Empfang der Königin von Saba zeigt. Es soll eine
Allegorie des Königs werden, erklärt er, wie er die Früchte der Kirche und die
Huldigung seines Volkes entgegennimmt.
    Hans bedenkt ihn mit einem
vernichtenden Blick. »Ich verstehe, worum es geht.« Hans bereitet Skizzen vor.
Salomon sitzt majestätisch da. Saba steht vor ihm, das unsichtbare Gesicht
erhoben, den Rücken dem Betrachter zugewandt. »Können Sie ihr Gesicht vor Ihrem
inneren Auge sehen«, fragt er, »obwohl es verborgen ist?«
    »Sie zahlen für den
Hinterkopf, und den kriegen Sie!« Hans reibt sich die Stirn. Er gibt nach.
»Stimmt nicht. Ich kann sie sehen.«
    »Wie eine Frau, der Sie auf
der Straße begegnen?«
    »Nicht ganz. Mehr wie jemand,
an den man sich erinnert. Wie eine Frau, die man als Kind kannte.«
    Sie sitzen vor dem Wandbehang,
den der König ihm geschenkt hat. Die Augen des Malers richten sich darauf.
»Diese Frau an der Wand. Wolsey hatte sie, Henry hatte sie, jetzt Sie.«
    »Ich versichere Ihnen, sie hat
kein Gegenstück im wirklichen Leben.« Nun, es sei denn, Westminster hat eine
sehr diskrete und vielseitige Hure.
    »Ich weiß, wer sie ist.« Hans
nickt nachdrücklich, er presst die Lippen zusammen, seine Augen blitzen
herausfordernd, er wirkt wie ein Hund, der ein Taschentuch stiehlt, damit man
ihm hinterherjagt. »In Antwerpen wird darüber geredet. Warum fahren Sie nicht
rüber und holen sie?«
    »Sie ist verheiratet.« Er ist
schockiert, als ihm klar wird, dass über seine Privatangelegenheiten geredet
wird.
    »Sie glauben, dass sie nicht mit Ihnen kommen würde?«
    »Es ist Jahre her. Ich habe mich verändert.«
    »Ja. Jetzt sind Sie reich.«
    »Aber was würde über mich
gesagt werden, wenn ich eine Frau von ihrem Mann fortlocken würde?«
    Hans zuckt mit den Achseln.
Sie sind so geradeheraus, die Deutschen. More sagt, die Lutheraner treiben
Unzucht in der Kirche. »Außerdem«, sagt Hans, »ist da noch die Sache mit...«
    »Die was?«
    Hans zuckt mit den Achseln:
ach, nichts. »Nichts! Werden Sie mich an den Händen aufhängen, bis ich
gestehe?«
    »So etwas tue ich nicht. Ich drohe es nur an.«
    »Ich meinte nur«, sagt Hans
besänftigend, »da ist die Sache mit den anderen Frauen, die sich mit Ihnen
verheiraten wollen. Die Ehefrauen von England haben alle geheime Bücher, in
denen die Männer stehen, die sie bekommen wollen, wenn sie erst ihre Ehemänner
vergiftet haben. Und Sie sind bei allen ganz oben auf der Liste.«
    In freien Momenten - davon
gibt es in der Woche zwei oder drei - hat er die Aufzeichnungen im Urkundenhaus
durchgesehen. Obgleich den Juden das Königreich verboten ist, weiß man nie,
welch menschliches Treibgut von der Flut des Schicksals angespült wird, und
nur einmal, einen einzigen Monat in den letzten dreihundert Jahren, war das
Haus leer. Er lässt seinen Blick über die Berichte der verschiedenen Leiter des
Hauses gleiten und nimmt neugierig die Quittungen in die Hand, auf denen die
toten Bewohner in hebräischer Schrift den Erhalt von Leistungen bestätigt
haben. Einige von ihnen verbrachten fünfzig Jahre innerhalb dieser Mauern,
schreckten vor den Londonern da draußen zurück. Wenn er durch die krummen
Gänge wandert, spürt er ihre Schritte unter seinen.
    Er sucht die beiden auf, die
noch da sind. Es sind stille und wachsame Frauen unbestimmten Alters, und ihre
Namen sind Katherine Wheteley und Mary Cook.
    »Was machen Sie?« Mit Ihrer Zeit, meint er. »Wir
verrichten unsere Gebete.«
    Sie mustern ihn, um seine
Absichten herauszufinden. Gut oder böse? Ihre Gesichter sagen: Wir sind zwei
Frauen, denen nichts geblieben ist als ihre Lebensgeschichte. Warum sollten
wir uns davon trennen und sie Ihnen geben?
    Er schickt ihnen Geflügel als
Geschenk, aber er fragt sich, ob sie Fleisch aus nichtjüdischen Händen essen.
Kurz vor Weihnachten schickt ihm der Prior der Christchurch in Canterbury zwölf
kentische Äpfel, jeder einzeln verpackt in graues Leinen; es ist eine spezielle
Sorte, die gut zu Wein passt. Er bringt den Konvertitinnen diese Äpfel und auch
Wein, den er ausgesucht hat. »Im Jahr 1353«, sagt er, »lebte nur eine Person
in diesem Haus. Sie tut mir leid, wenn ich daran denke, dass sie keine
Gesellschaft hatte. Ihr letzter Wohnsitz war die Stadt Exeter, aber ich frage
mich, wo sie davor gelebt hat? Ihr Name war

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