Mantel, Hilary
neuen Gebäude, seine flatternden Banner, sein
Wappen, mit dem das Mauerwerk geschmückt ist, seine Gelehrten in Oxford; er
plündert Cambridge, um die schlauesten jungen Doktoren ans Cardinal College zu
bekommen. Es gab Ärger vor Ostern, als der Dekan herausfand, dass sechs der
neuen Männer im Besitz einiger verbotener Bücher waren. Sperren Sie sie ein,
unbedingt, sagte Wolsey, sperren Sie sie ein und reden Sie ein ernstes Wort
mit ihnen. Wenn es nicht zu heiß ist oder zu feucht, komme ich vielleicht und
rede selbst ein ernstes Wort mit ihnen.
Es hat keinen Zweck zu
versuchen, Johane das alles zu erklären. Sie will nur wissen, dass ihr Mann
nicht von den Verleumdungen betroffen ist, die wie Pfeile schwirren. »Du weißt,
was du tust, vermute ich.« Sie blickt nach oben. »Jedenfalls siehst du immer
aus, als wüsstest du es, Tom.«
Ihre Stimme, ihre Schritte,
ihre hochgezogene Augenbraue, ihr spitzes Lächeln, alles erinnert ihn an Liz.
Manchmal dreht er sich um, weil er glaubt, Liz sei in den Raum gekommen.
Die neuen Gegebenheiten verwirren Grace. Sie weiß,
dass der erste Mann ihrer Mutter Tom Williams hieß; der Haushalt schließt ihn
in seine Gebete ein. Ist Onkel Williamson sein Sohn?, fragt sie.
Johane versucht es zu
erklären. »Spar dir die Mühe«, sagt Anne. Sie tippt sich an den Kopf. Ihre
gescheiten kleinen Finger prallen von den Saatperlen auf ihrer Haube ab.
»Schwer von Begriff«, sagte sie.
Später sagt er zu ihr: »Grace ist nicht schwer von
Begriff, nur klein.«
»Ich erinnere mich nicht, dass ich je so dumm war.«
»Sind sie alle schwer von Begriff, außer uns? Ist es
so?«
Annes Gesicht sagt mehr oder
weniger, dass es so ist. »Warum heiraten Leute?«
»Damit es Kinder geben kann.«
»Pferde heiraten nicht. Aber es gibt Fohlen.«
»Die meisten Leute meinen«, sagt er, »dass es ihr
Glück vergrößert.«
»Ach so, das«, sagt Anne. »Darf ich mir meinen Mann
selbst aussuchen?«
»Natürlich«, sagt er; er meint: bis zu einem gewissen
Grad. »Dann nehme ich Rafe.«
Eine Minute, zwei Minuten lang
hat er das Gefühl, sein Leben könnte in Ordnung kommen. Dann denkt er, wie
könnte ich Rafe bitten zu warten? Er muss sein eigenes Haus einrichten. Selbst
in fünf Jahren wäre Anne eine sehr junge Braut.
»Ich weiß«, sagt sie. »Und die Zeit vergeht so
langsam.«
Es ist wahr; man scheint immer
auf etwas zu warten. »Du hast die Sache offenbar durchdacht«, sagt er und
denkt: Du musst es ihr nicht erklären, behalt es für dich, sie kann es sich
selbst erklären; du musst dieses Kind, dieses Mädchen, nicht durch ein Gespräch
mit den kleinen Schlenkern und Einwänden lavieren, die bei Frauen normalerweise
notwendig sind. Sie ist nicht wie eine Blume oder eine Nachtigall: sie ist wie
... wie ein risikofreudiger Überseehändler, denkt er. Ein Blick in die Augen
des Gegenübers, um seine Absichten zu ergründen, und ein Handel, der mit einem
Handschlag besiegelt wird.
Sie zieht sich die Haube vom
Kopf; sie zupft an den Saatperlen und zieht an einer Strähne ihres dunklen
Haares, zieht sie so in die Länge, dass die Locken verschwinden. Sie hebt den
Rest ihrer Haare an, fasst sie zu einem Zopf zusammen und legt sie sich um den
Hals. »Es würde zweimal rumpassen«, sagt sie, »wenn mein Hals dünner wäre.« Sie
klingt gereizt. »Grace glaubt, ich kann Rafe nicht heiraten, weil wir verwandt
sind. Sie glaubt, alle, die in einem Haus leben, sind Vettern und Kusinen.«
»Du bist nicht Rafes Kusine.«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher. Anne ... setz
deine Haube wieder auf. Was wird deine Tante sagen?«
Sie verzieht ihr Gesicht.
Imitiert ihre Tante Johane. »Oh, Thomas«, murmelt sie, »du bist immer so
sicher!«
Er hebt die Hand, um sein
Lächeln zu verbergen. Für einen Augenblick erscheint Johane weniger
beunruhigend. »Setz deine Haube auf«, sagt er milde.
Sie stülpt sie sich wieder auf
den Kopf. Sie ist so klein, denkt er, aber trotzdem würde ein Helm besser zu
ihr passen. »Wie ist Rafe hierhergekommen?«, sagt sie.
Er kam aus Essex hierher, weil
sein Vater zu jener Zeit dort war. Sein Vater Henry war Haushalter bei Sir
Edward Belknap, einem Cousin der Familie Grey und daher mit dem Marquis von
Dorset verwandt. Der Marquis wiederum förderte Wolsey, als der Kardinal in
Oxford studierte. Doch, ja, es sind wirklich Vettern im Spiel; natürlich auch
die Tatsache, dass zwischen ihm und dem Kardinal bereits indirekte Verbindungen
bestanden, als er erst seit ein oder
Weitere Kostenlose Bücher