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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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Ich brauche einen Buchhalter für
den Haushalt, denkt er.
    Er sitzt an seinem
Schreibtisch, auf dem sich Zeichnungen und Pläne für das College in Ipswich
und das Cardinal College stapeln, dazu Kostenvoranschläge von Handwerkern und
Rechnungen für Wolseys Gartenbau-Projekte. Er betrachtet eine Narbe in seiner
Handfläche; es ist eine alte Brandwunde, die aussieht wie ein gedrehtes Seil.
Er denkt an Putney. Er denkt an Walter. Er denkt an das nervöse Ausweichen eines
unruhigen Pferdes, an den Geruch der Brauerei. Er denkt an die Küche in Lambeth
und an den flachsblonden Jungen, der immer die Aale brachte. Er erinnert sich
daran, wie er den Aaljungen am Haar gepackt, seinen Kopf in einen Wasserkübel
gesteckt und ihn untergetaucht hat. Er denkt, habe ich das wirklich getan?
Warum nur? Der Kardinal hat vermutlich recht, ich bin nicht mehr zu retten. Die
Narbe juckt manchmal; sie ist so hart wie ein Knochen. Er denkt, ich brauche
einen Buchhalter. Ich brauche einen Griechischlehrer. Ich brauche Johane, aber
wer sagt denn, dass ich haben kann, was ich brauche?
    Er öffnet einen Brief. Ein
Priester namens Thomas Byrd hat ihm geschrieben. Er benötigt Geld, und der
Kardinal scheint ihm etwas zu schulden. Er macht sich eine Notiz, die Sache
prüfen zu lassen und zu zahlen, dann überfliegt er den Brief noch einmal. Zwei
Männer werden erwähnt, zwei Gelehrte, Clerke und Sumner. Er kennt die Namen. Es
sind zwei der sechs Männer aus Oxford, die lutherische Bücher hatten. Sperren
Sie sie ein und reden Sie ein ernstes Wort mit ihnen, hatte der Kardinal
gesagt. Er hält den Brief in der Hand und wendet den Blick davon ab. Er weiß,
dass etwas Schlimmes kommt; der Schatten gleitet schon über die Wand.
    Er liest. Clerke und Sumner
sind tot. Man sollte es dem Kardinal mitteilen, steht da. Da er keinen anderen
sicheren Platz hatte, hielt der Dekan es für richtig, sie in den Kellern des
Colleges einzuschließen, den tiefen, kalten Kellern, die zur Aufbewahrung von
Fisch dienen. Selbst an diesem stillen Ort, verborgen, eiskalt, hat die
Sommerseuche sie gefunden. Sie starben im Dunkeln und ohne Priester.
    Den ganzen Sommer haben wir
gebetet, aber nicht genug gebetet. Hat der Kardinal seine Ketzer einfach
vergessen? Ich muss zu ihm gehen und es ihm sagen, denkt er.
    Es ist die erste Woche im
September. Sein unterdrückter Kummer wandelt sich zu Wut. Aber was soll er mit
Wut anfangen? Sie muss ebenfalls unterdrückt werden.
    Als der Kardinal schließlich
beim Jahreswechsel sagt: Thomas, was soll ich Ihnen zum neuen Jahr schenken?,
entgegnet er: »Schenken Sie mir den kleinen Bilney.« Und ohne auf die Antwort
des Kardinals zu warten, sagt er: »Mylord, er war ein Jahr im Tower. Der Tower
würde jeden in Schrecken versetzen, aber Bilney ist ein scheuer Mann und
schwach, und ich fürchte, er wird hart angefasst, und Mylord, denken Sie daran,
wie Sumner und Clarke starben. Mylord, verwenden Sie Ihre Macht, schreiben Sie
Briefe, bitten Sie den König, wenn es sein muss. Aber lassen Sie ihn frei.«
    Der Kardinal lehnt sich
zurück. Er legt die Fingerspitzen aneinander. »Thomas«, sagt er. »Mein lieber
Thomas Cromwell. Sehr gut. Aber Vater Bilney muss nach Cambridge zurückkehren.
Er muss sein Vorhaben aufgeben, nach Rom zu gehen und den Papst von der
richtigen Denkweise zu überzeugen. Es gibt sehr tiefe Gewölbe unter dem Vatikan,
und so weit reicht mein Arm nicht.«
    Es liegt ihm auf der Zunge zu
sagen: »Er hat nicht einmal bis in die Keller Ihres eigenen Colleges gereicht.«
Aber er lässt es. Der Kardinal gestattet ihm die kleine Schwäche, mit der
Häresie zu liebäugeln. Er, Cromwell, freut sich immer darauf, die neuesten
schädlichen Bücher auseinandernehmen zu können, und er freut sich über jeden
Klatsch aus dem Steelyard, wo die deutschen Kaufleute wohnen. Es gefällt ihm,
den einen oder anderen Text durchzugehen, und er schätzt eine Diskussion nach
dem Abendessen. Aber für den Kardinal muss jeder strittige Punkt mit einem
feinen Geflecht aus Worten - so fein wie ein gespaltenes Haar - verhüllt und
noch weiter verhüllt werden. Jede gefährliche Meinung muss mit heiteren
Ausflüchten so aufgeplustert werden, dass sie so dick und harmlos wird wie die
Kissen, in die man sich lehnt. Als er die Geschichte von den unterirdischen
Todesfällen hörte, kamen Mylord die Tränen. »Wie konnte mir das entgehen?«,
sagte er. »Diese wunderbaren jungen Männer!«
    Er weint schnell in den
letzten Monaten, obwohl das nicht heißt,

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