Mantel, Hilary
Behörden, um der Flut von sogenannten Übersetzungen Einhalt zu
gebieten, Übersetzungen der Schrift, die meiner Meinung nach böswillig und
absichtlich irreführend sind ... Aber Sie wissen das natürlich, Sie haben
einige Jahre dort verbracht. Und jetzt ist Tyndale in Hamburg gesehen worden,
sagt man. Sie würden ihn erkennen, nicht wahr, wenn Sie ihn sehen sollten?«
»Das würde auch der Bischof
von London. Sie selbst vielleicht.«
»Genau. Genau.« More überlegt.
Er kaut auf seiner Lippe herum. »Und Sie sagen mir, es ist nicht die Aufgabe
eines Anwalts, falschen Übersetzungen nachzujagen. Aber ich hoffe, Mittel und
Wege zu erlangen, um gegen die Brüder gerichtlich vorzugehen, wegen Aufwiegelung,
verstehen Sie?« Die Brüder, sagt er; sein kleiner Witz; er trieft vor Verachtung.
»Wenn ein Verbrechen gegen den Staat vorliegt, kommen unsere Verträge ins
Spiel, und ich kann sie ausliefern lassen. Damit sie sich vor einer strengeren
Gerichtsbarkeit verantworten müssen.«
»Haben Sie aufwiegelnde
Aspekte in Tyndales Schriften entdeckt?«
»Ah, Master Cromwell!« More
reibt sich die Hände. »Sie bereiten mir Freude, in der Tat. Jetzt fühle ich
mich, wie sich eine Muskatnuss fühlen muss, wenn sie gerieben wird. Ein
geringerer Mann - ein geringerer Anwalt — würde sagen: >Ich habe Tyndales
Werk gelesen, und ich finde daran nichts auszusetzen.< Aber Cromwell kann
man kein Bein stellen - er wirft den Ball zurück, er fragt vielmehr mich: Haben Sie Tyndale gelesen? Und ich gebe
es zu. Ich habe den Mann studiert. Ich habe seine sogenannten Übersetzungen
auseinandergepflückt, Buchstabe für Buchstabe. Ich lese ihn, natürlich lese
ich ihn. Mit Erlaubnis. Von meinem Bischof.«
»Im Ecclesiasticus heißt es:
>Wer Pech anfasst, besudelt sich.< Es sei denn, sein Name ist Thomas
More.«
»Na bitte, ich wusste ja, dass
Sie die Bibel lesen! Außerordentlich treffend. Aber wenn ein Priester eine
Beichte hört, und es geht um eine wollüstige Sache, macht das den Priester
selbst zu einem wollüstigen Menschen?« Zur Ablenkung nimmt More seinen Hut ab
und faltet ihn gedankenverloren in den Händen zusammen; er knickt ihn in der
Mitte; seine hellen, müden Augen blicken sich um, als könnte er von allen Seiten
widerlegt werden. »Und ich glaube, auch der Kardinal von York hat seinen jungen
Theologen im Cardinal College erlaubt, die Pamphlete der Sektierer zu lesen.
Vielleicht schließt er Sie in seine Dispense ein? Ist es so?«
Es wäre merkwürdig, würde er
seinen Anwalt einschließen; aber es ist ohnehin eine merkwürdige Aufgabe für
einen Anwalt. »Wir haben uns im Kreis bewegt«, sagt er.
More strahlt ihn an. »Nun ja,
es ist schließlich Frühling. Wir werden bald um den Maibaum tanzen. Gutes
Wetter für eine Seereise. Sie könnten die Gelegenheit nutzen, um ein paar
Geschäfte im Wollhandel zu machen, oder ziehen Sie inzwischen nur noch Menschen
das Fell über die Ohren? Und wenn der Kardinal Sie bitten würde, nach Frankfurt
zu gehen, dann würden Sie doch gehen, vermute ich? Denn wenn er ein kleines
Kloster niederreißen will, wenn er glaubt, es sei finanziell gut ausgestattet,
wenn er glaubt, die Mönche sind alt, Gott segne sie, und ein bisschen wirr im
Kopf; wenn er denkt, die Scheunen sind voll und die Teiche gefüllt mit Fischen,
die Rinder fett und der Abt alt und mager ... machen Sie sich auf den Weg,
Thomas Cromwell. Nach Norden, Süden, Osten oder Westen. Sie und Ihre kleinen
Lehrlinge.«
Wenn ein anderer Mann so reden
würde, hätte er die Absicht, Streit anzufangen. Wenn More es tut, leitet er
eine Einladung zum Abendessen ein. »Kommen Sie nach Chelsea«, sagt er. »Die
Unterhaltung ist ausgezeichnet, und wir würden uns freuen, wenn Sie dazu
beitragen. Unser Essen ist einfach, aber gut.«
Tyndale sagt, ein Junge, der
das Geschirr in der Küche abwäscht, ist dem Auge Gottes genauso gefällig wie
ein Prediger auf der Kanzel oder der Apostel am Ufer von Galiläa. Vielleicht,
denkt er, sollte ich Tyndales Meinung lieber nicht erwähnen.
More tätschelt seinen Arm.
»Haben Sie keine Pläne, sich wieder zu verheiraten, Thomas? Nein? Ist
vielleicht weise. Mein Vater sagt immer, eine Frau auszusuchen ist so, als stecke man die Hand
in einen Sack voller sich windender Kreaturen, wobei auf sechs Schlangen ein
Aal kommt. Wie hoch steht die Chance, den Aal herauszuziehen?«
»Ihr Vater hat - wie oft -
dreimal geheiratet?«
»Viermal.« Er lächelt. Das
Lächeln ist echt. Es legt seine Augenwinkel
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