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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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Beerdigung verschwunden“, vollendete er Susannes Gedankengang und widerlegte damit seine eigene Theorie. „Und ich denke mal, alle die ihr sehr nahe standen, waren auf dem Friedhof.“
    Susanne stieß den Rauch durch die Nase, während sie entschied: „Ich werde mit unserem Seelenklempner darüber sprechen.“ Wie beiläufig fügte sie hinzu: „Und mit Karin.“
    „Du hältst sie auf dem Laufenden?“ Er traute seinen Ohren kaum.
    „Natürlich! Was denkst denn du?“ Sie grinste ein wenig gequält. „Aber es ist auf Dauer ziemlich anstrengend, alles zwei Mal zu erzählen.“
    Chris schlug das Herz bis in die Kehle, als er zögernd fragte: „Hat sie … hat sie mal nach mir gefragt oder so?“
    „Wir reden über den Fall, Chris, nicht über euch.“
     
    Er brachte den Besuch bei der alten Dame hinter sich, ohne bei der Sache zu sein. Immerhin dachte er daran, ihr Zigaretten mitzubringen.
    Als er die JVA verlassen hatte und über die Äußere Kanalstraße nach Hause fuhr, rotierten seine Gedanken. Unmerklich fuhr er immer langsamer.
    Erst als hinter ihm wütendes Hupen laut wurde, sah er auf den Tacho. Er kroch mit vierzig daher, obwohl siebzig erlaubt war. Im Rückspiegel sah er eine lange Lichterkette und bog nach rechts auf den Parkplatz des Hochhauses „Meran“ ab. Welch ein Hohn, diesen plumpen unfreundlich wirkenden Klotz ausgerechnet „Meran“ zu nennen.
    Er legte die Hände aufs Lenkrad und starrte durch die Windschutzscheibe auf den Wagen vor ihm. Ironischerweise ein dunkelblauer Fiesta.
    „Sie ist jetzt so allein da oben“. War dieser Ausruf da auf der Treppe eine Initialzündung? Hatte der Mörder das gehört und seine Konsequenzen gezogen? Warum? Weil er selbst eine krankhafte Angst vor dem Alleinsein hatte? Aber wer von all den Leuten? Es waren fast fünfhundert Menschen in der Kirche gewesen, davor hatten etwa noch mal so viele gestanden. Jeder musste diesen verzweifelten Satz von Monika gehört haben, aber niemals würde man sie alle identifizieren können. Und wenn der Täter Claudia nahe gestanden hatte — was die einzige logische Konsequenz war — wieso war er nicht auf dem Friedhof gewesen? Warum hatte er sich ausgerechnet diesen Morgen ausgesucht, um Annika zu entführen?
    Zu viele Fragen, auf die er keine Antworten fand, beschloss er und zündete sich eine Zigarette an. Er sollte das Chaos in seinem Hirn Chaos sein lassen und nach Hause fahren. Er wollte duschen und danach mit Karin reden. Das war im Moment wichtiger.
    Ein eifersüchtiger Stich fuhr ihm mit einem Mal ins Herz. Susanne diskutierte den Fall mit Karin, genauso wie sie seit Jahren ihre schwierigen Fälle mit ihm diskutierte. Wieso plötzlich mit Karin? Und sie hat nicht mal nach mir gefragt, dachte er bitter, die Frau, die dir immer nah sein wollte.
     
    Er kurvte mehrfach durch die Piusstraße und um den Block, aber es wollte sich einfach keine Parklücke auftun. Aufmerksam fuhr er an den grauen Altbauten vorbei, an Kebabbuden und den hell erleuchteten Läden türkischer Gemüsehändler. Immer, wenn er glaubte, einen Parkplatz zu sehen, war es doch nur eine Garageneinfahrt. Durch das Fenster seines Stammimbiss sah er die kleine Griechin hinter der Theke mit einem Korb voller Fritten hantieren. Knusprig würden sie sein und goldgelb, wie immer. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen und beinahe wäre er an der winzigen Lücke, die vor zehn Minuten noch nicht dagewesen war, vorbeigefahren. Er musste mehrfach rangieren, ehe der Nissan richtig stand. Hein, der Besitzer des Kiosks, wo er immer Zigaretten kaufte, winkte eifrig durch das Fenster, als er den alten Wagen erkannte. Chris hatte keine Lust auf sein ewig belangloses Geschwätz und winkte nur kurz zurück, während er seine Laptoptasche vom Beifahrersitz klaubte. Fehlte noch, dass Hein ihn vollquatschte. Er wollte zu Karin, und zwar schleunigst!
    Die Wohnungstür war nicht abgeschlossen und in dem schmalen Flur brannte Licht. Hatte er wohl beides vergessen am Morgen. Er war und blieb nun mal ein Chaot. Dann sah er den blauen Gehstock an der Garderobe und sein Herz machte einen freudigen Hüpfer. Eine Sekunde später dachte er, es würde für immer aussetzen.
    Unter der Garderobe stand Karins Reisetasche — prall gefüllt. Chris hatte plötzlich einen bitteren Geschmack im Mund. So ist das also, dachte er nüchtern.
    Aus.
    Einfach so.
    Die Frau, die nur Affären konnte, schnürte ihr Ränzlein. Immerhin hatte sie es fast ein halbes Jahr ausgehalten. Viel zu lange

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