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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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von oben herab in den Korb flatterte.
    „Sie wollten damit sagen, dass wir schon mal eine bessere Presse hatten, nehme ich an.“ Breitners Lächeln war säuerlich.
    „Bessere Presse, besseres Wetter, bessere Ermittlungen.“
    „Bessere Laune“, ergänzte Breitner schmunzelnd.
    Susanne starrte sie misstrauisch an. „Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?“
    „Keineswegs.“ Die kleine Staatsanwältin zog einen der Besucherstühle heran und setzte sich betont vorsichtig. Man konnte nie wissen, wann die Dinger endgültig zusammenbrachen. Sie hatte da so ihre Erfahrungen.
    „Wir haben nichts, oder was verhagelt Ihnen sonst die Petersilie?“, fragte sie, nachdem sie ihren — natürlich — dunkelblauen Rock glattgestrichen hatte. Von der Großbaustelle rund um das Präsidium hörte man das helle Sirren eines Krans, gleich darauf dröhnte ein Presslufthammer.
    „Wir haben nicht mal das Schwarze unterm Fingernagel!“, schnaubte Susanne gegen den Lärm an. „Ich jage dreißig Leute in der Gegend herum, alle sind hochmotiviert, reißen sich vierzehn Stunden am Tag den Arsch auf. Und was passiert? — Nichts!“
    „Wir haben längst noch nicht alle Fakten abgeklopft“, warf Breitner ein. „Früher oder später werden wir auf denjenigen stoßen, der beide Kinder kannte und oder von der Kerze wusste.“
    „Wie spät? Wenn es nochmal passiert ist?“
    „Es ist nicht gesagt, dass es nochmal passiert.“
    „Es ist aber auch nicht ausgeschlossen.“ Susanne beugte sich weit über den Tisch, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. Die Ärmel ihres abgetragenen Blazers rutschten dabei fast bis zu den Ellbogen. „Annika Klausen ist seit sechs Tagen tot und wir haben keinen einzigen Zeugen, der etwas gesehen hat!“
    So langsam redete sie sich in Rage. Und die scheinbare Ruhe von Breitner reizte sie zusätzlich. Nur deshalb zog sie jetzt eine Zigarette aus der Schachtel. Aber auch das brachte die militante Nichtraucherin keineswegs aus der Fassung. Sie hob lediglich die Augenbrauen.
    „Packen wir die Sache überhaupt von der richtigen Seite?“, fragte sie und strich wieder über ihren Rock. „Ich meine Folgendes: Wenn ich unseren Psychologen richtig verstehe, haben wir es mit einer symbolisch-rituellen Handlung zu tun, etwas, das tief aus dem Inneren eines Menschen kommt. Aber zurzeit kümmern wir uns nur um Äußerlichkeiten, lassen dreißig Leute wie kopflose Hühner herumrennen und Fragen nach äußeren Ereignissen stellen. Wir vergeuden Zeit und Gehirnschmalz damit, diese dreißig Leute zu verwalten und ihnen Aufgaben zuzuteilen.“
    Susanne sah kurz auf ihren geliebten Stadtplan und steckte die Zigarette zurück in die Schachtel. Das, was sie von Anfang an hatte vermeiden wollen, war zwangsläufig eingetreten. Die ganze Ermittlung war zerfasert, und die Hauptkommissarin Susanne Braun, der Kopf dieser Hydra, kam nicht mehr dazu, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen, weil sie erschlagen wurde von Berichten, Protokollen und Koordinationsaufgaben.
    Susanne sah mit einem Mal ganz deutlich, dass Breitner völlig Recht hatte. Ebenso klar war ihr, was sie nun tun musste. Sie tat es ungern, und sie tat es nicht sehr häufig. Das letzte Mal vor fünf Monaten, als sie die Bilder einer verstümmelten Frauenleiche nicht mehr losgeworden war und immerzu vor Augen hatte. So, wie sie jetzt den Kopf nicht mehr frei bekam, weil sie einen mittleren Flohzirkus hüten musste.
    Sie zögerte kurz. Schließlich hatte ihr Vorhaben für sie etwas vom „Gang nach Canossa“. Aber immer noch besser, als weiterhin zuzusehen, wie ihnen die Zeit zwischen den Fingern zerrann.
    Entschlossen sprang sie auf, schnappte sich die Jacke ohne Kapuze von der Garderobe und die beiden Ordner vom Schreibtisch. Darin waren die wichtigsten Ermittlungsergebnisse dokumentiert: Tatortbefunde, Spurenanalysen, Obduktionsergebnisse, die Aussagen Ballmanns.
    „Bin außer Haus!“, rief sie, als sie die Türklinke in der Hand hatte. „Wahrscheinlich länger.“
    Sie sah nicht mehr, dass der kleinen Staatsanwältin vor Verblüffung der Unterkiefer herunterklappte.
     
    ********
     
    Zum ersten Mal in all den Jahren erlebte Chris, dass seine Mitarbeiterin ihrem Unmut freien Lauf ließ. Die Nixe nickte nur kurz, als er ins Büro kam und brachte dann keinen Kaffee. Seit fast sechs Jahren brachte sie Kaffee, spätestens zehn Minuten, nachdem er eingetroffen war.
    Er wartete eine Viertelstunde — nichts geschah. Nach weiteren fünf Minuten wollte er die

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