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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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Hinter einer scharfen Kurve nämlich mündete die Straße in eine große, unübersichtliche Kreuzung. — Seine Achillesferse seit er den Führerschein hatte. Aus zwei Fahrspuren wurden plötzlich sechs. Sie machten schwungvolle Bögen, teilten sich wieder, verengten sich, wurden zerschnitten von mehreren Spuren aus anderen Richtungen. Der dichte Verkehr ließ selten einen rechtzeitigen Fahrbahnwechsel zu, und das große Hinweisschild, das anzeigte, wo man sich einzuordnen hatte, war genauso unübersichtlich wie die Kreuzung selbst und sinnigerweise erst hinter der Kurve aufgestellt, statt davor. Es war Chris selten gelungen, gleich da hin zu fahren, wo er hin wollte. Manchmal fuhr er auf die Rheinuferstraße, wenn er in die Tiefgarage des Maritim wollte, mal sauste er in die Tiefgarage, wenn er eigentlich ins Rechtsrheinische musste und oft erwischte er die Fahrspur, die ihn einmal um den Heumarkt herum und wieder mitten in die Innenstadt zurückführte.
    Statt in die Tiefgarage rauschte er dieses Mal auf die Deutzer Brücke und steckte fluchend im nächsten Stau. Nachdem er endlich die andere Rheinseite erreicht hatte und nach einer Kehrtwende wieder in die entgegengesetzte Richtung fuhr, hob sich seine Laune jedoch. Obwohl der Tag grau und trüb war, sah die Altstadt einfach phantastisch aus. Die kleinen Fachwerkhäuser wirkten wie Spielzeugbauten zwischen dem weit in den Himmel ragenden Dom und den trutzigen Formen von Groß St. Martin. Einige Ausflugsschiffe waren noch nicht im Winterquartier und dümpelten an den Landungsstegen vor der Rheinpromenade. Ihre schneeweiße Farbe war wohltuend in all dem Grau. Wie wahrscheinlich alle Kölner liebte Chris dieses Panorama und war jetzt beinahe froh, sich verfahren zu haben.
    Endlich fand er seinen Weg in die Tiefgarage und ergatterte sogar einen Parkplatz in der Nähe des Ausgangs. Spontan entschloss er sich, ein Stück durch die Altstadt zu schlendern, bevor er zu Tinnis Club ging. Er wollte einen klaren Kopf haben. Also machte er einen weiten Bogen zum Rathaus, ging über den Alter Markt und tauchte schließlich in die schmalen Gassen der Altstadt ein. Gott sei Dank waren um diese Jahreszeit nur wenige Touristen unterwegs. Und obwohl er unter seinem Wollmantel fror und ihm die Kälte die Waden hochkroch, ging er langsam. Wie so oft fühlte er sich beim Anblick der krummen Häuser, der ausgetretenen Stufen, der vielen Hinterhöfe und düsteren Winkel in eine andere Zeit versetzt. Er stellte sich Ochsenkarren vor, die über das Kopfsteinpflaster rumpelten. Fliegende Händler boten mit lauter Stimme ihre Waren feil, und auf den belebten Märkten wurde gefeilscht, gelacht und gestritten. Allein die Straßennamen beflügelten seine Phantasie: Buttermarkt, Fischmarkt, Salzgasse, Münzgasse, Eisenmarkt, Bolzengasse … Wie es wohl gewesen wäre, wenn er hier vor sieben-oder achthundert Jahren gelebt hätte? Vielleicht würde er in einem Kontor der reichen Patrizierhäuser, den Overstolz oder den Hardefust, mit gezücktem Gänsekiel über den Geschäftsbüchern hocken. Unwillkürlich schüttelte Chris den Kopf. Nein, viel eher wäre er hier durch die Gassen geschlichen und hätte die Mörder des Dombaumeisters Gerhard verfolgt … Mörderjagd … Das holte ihn zurück in die Gegenwart. Zu den Seibolds, einer getöteten Sechsjährigen und zu einer Tüte Lakritzschnecken, die plötzlich in seiner Manteltasche wie Feuer brannte.
    Natürlich — er hätte zuerst die Tüte als Beweisstück im Präsidium abliefern müssen. Er hätte sie nicht einfach so einstecken dürfen. Wahrscheinlich waren jetzt Fingerspuren verwischt. Es reichte schon, dass Monika die Tüte angefasst hatte. Mit Sicherheit würde er sich einen dicken Rüffel von Susanne einhandeln.
    Chris beschleunigte seine Schritte und bog kurz darauf in die kleine Toreinfahrt ab, hinter der sich Tinnis exklusiver Club verbarg. Ein Bordell der Extraklasse mit Barbetrieb, finnischer Sauna, Whirlpool und zwei Dutzend Zimmern für die unterschiedlichsten Bedürfnisse.
    Natürlich war die Leuchtreklame noch dunkel und der Eingang verschlossen. Für Tinni und ihre Leute war jetzt früher Morgen, gerade mal Frühstückszeit. Normalerweise kam Chris auch später hierher, meistens, wenn Theo, der gute Geist des Caribbean Club und begnadete Koch, seine Künste am Herd gerade zum Abschluss brachte und Tinni ihn teilhaben ließ an gespicktem Hasenrücken, Coq au Vin oder in Blätterteig gebackenem Wildlachs.
    Als Chris energisch an

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