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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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Tasche.
    Während er Karin erzählte, was geschehen war, faltete er das zerdrückte Päckchen auseinander und strich es glatt. Auf der Rückseite klebte ein orangefarbenes Preisschild. In der obersten Zeile des Etiketts stand der Name der Supermarktkette, in der Mitte prangte der „Sonderpreis“ und darunter, winzig klein, war eine Ziffernkombination, auf die sich Chris keinen Reim machen konnte.
    „Hast du eine Ahnung, was die Zahlen bedeuten könnten?“, fragte er.
    „Keinen Schimmer. Aber Susanne wird´s schon rausfinden.“
    „Hmh“, murmelte er nachdenklich und steckte die Packung zurück in die Manteltasche.
    „Chris!?“
    Karins Stimme hatte etwas Misstrauisches — fand Chris jedenfalls. Deshalb versuchte er, möglichst unschuldig auszusehen, als er sie fragend ansah. Anscheinend zu unschuldig.
    „Du hast nicht zufällig vor, Susanne unter die Arme zu greifen, oder?“, sagte sie nämlich. Sie lehnte immer noch an der Kommode und verschränkte jetzt die Arme vor der Brust. „Was hast du getan? Lass mich raten. Du bist von den Seibolds aus rein versehentlich zu Tinni gefahren. Na, kann ja mal passieren! Und ebenfalls aus Versehen hast du von Claudia erzählt. Und da konntest du gar nicht mehr verhindern, dass der gute Theo gleich die Spur aufnimmt, oder?“
    „Äh …“
    „Aha! Chris, zu Teufel! Ein Kind ist tot, du vertrittst die Eltern, okay. Aber heißt das, dass du dich gleich einmischen musst?“ Ihr Gesicht war zornrot angelaufen.
    „Du hast sie nicht gesehen, Liebes“, setzte er zu einer lahmen Verteidigung an, während er endlich den Mantel auszog und über einen Bügel streifte. „Du hast nicht gesehen, was er mit dem Kind gemacht hat. Du warst nicht bei den Eltern. Du weißt nicht …“
    „Wir haben, verdammt nochmal, eine Abmachung!“, wurde er scharf unterbrochen.
    „Karin! Er hat eine Sechsjährige so brutal missbraucht, dass sie allein an diesen Verletzungen gestorben wäre. Er hat sogar eine Kerze benutzt, um ihre Vagina zu erweitern. Er hat ihr alle Knochen gebrochen und die inneren Organe zerfetzt.“
    Chris wurde immer hitziger und merkte gar nicht, dass er nun doch all die Einzelheiten erwähnte, die er Karin eigentlich hatte ersparen wollen. „Er ist vorne und hinten in sie eingedrungen. Und nach der Menge des Spermas zu urteilen, hat er mehrere Ergüsse gehabt. Ich will, dass dieses Ungeheuer so schnell wie möglich gefasst wird. Was ist, wenn er es wieder tut? Was ist, wenn er auf kleine blonde Engel steht und Frauke ist die nächste?“
    Karin nahm wortlos ihre Krücken auf, schwang sich ins Wohnzimmer und ließ ihn einfach stehen.
    Wütend stapfte er ihr nach. „Du wolltest doch, dass ich das Mandat übernehme, weil du dir vorgestellt hast, es hätte Frauke sein können! Und wenn sie es gewesen wäre? Würdest du dann auch verlangen, dass ich mich raushalte? — Nein, würdest du nicht! Wetten? Im Gegenteil: Du würdest dich selbst einmischen, damit der Scheißkerl kein Unheil mehr anrichten kann!“
    Das Abendessen verlief in eisigem Schweigen. Chris hatte längst ein schlechtes Gewissen, weil er so heftig geworden war. Außerdem konnte er es immer nur schwer ertragen, wenn Karin sauer auf ihn war. Und sie schien sehr sauer zu sein. Sie hatte keine Musik aufgelegt, wie sie es sonst zum Essen tat und sah auch nicht von ihrem Teller auf.
    Chris stocherte in seinem Fleisch herum, zerteilte es und schob es zur Seite. Er würde sich entschuldigen müssen. Ob er Karin versöhnen konnte, wenn er versprach, alle Infos an Susanne weiterzugeben und selbst nichts zu unternehmen? Oder sollte er gar Theo zurückpfeifen? Er war so zerknirscht, dass ihm gar nicht in den Sinn kam, Karins Schweigsamkeit könnte einen anderen Grund haben.
    Folglich war er völlig sprachlos, als Karin ihren leeren Teller zur Seite stellte, eine Zigarette aus der Packung fischte und dabei ernst fragte: „Und? Wie gehen wir vor?“
     

Freitag, 9. November
     
    Susanne schaute resigniert auf die Zusammenfassung der Protokolle, die Klippstein aufgestellt hatte. Auch wenn es nur eine Übersicht war, wurden die Papierstapel auf ihrem Schreibtisch immer höher. Genauso wie der gigantische Berg von Kleinarbeit, der einfach nicht abnehmen wollte.
    „Wie weit ist Hansen mit dem Müll?“, fragte sie ungeduldig.
    Klippstein kramte mit einer Hand in seinen Unterlagen und knautschte in der anderen ein feuchtes Kleenex, ehe er sich zum wiederholten Mal den Schweiß von der Stirn tupfte. Er schwitzte immer

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