Mantelkinder
Braun“ konnte schließlich nicht einfach daherkommen und sagen: „Heinz, es ist schön mit dir.“ Hellwein hätte an ihrem Verstand gezweifelt — oder an seinem.
„Warum bist du Bulle geworden?“, wollte Susanne jetzt wissen und schwenkte einen Rest Orangensaft in ihrem Glas hin und her.
„Oh, ich dachte, ich könnte immer in der schicken Ledermontur auf einem dicken Motorrad Streife fahren“, erwiderte Hellwein und faltete die Hände über seinem Bauch zusammen. „Wenn ich jetzt nur dran denke! Stell dir vor, bei Wind und Wetter sitzt du dir Schwielen an den Arsch.“
Er zog die Schultern hoch und sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, was er heutzutage von der Aussicht hielt. „Und du?“
„Ich dachte, ich könnte was bewegen“, erklärte Susanne und sah mit gerunzelter Stirn durch das Panoramafenster. Eine Gruppe Frauen und Männer in „Lappenkostümen“ marschierte gerade über die Domplatte. Gleich dahinter kam ein Trupp Wikinger, deren Anführer eine überdimensionale Trommel schlug. Unwillkürlich sah sie auf die Uhr. Kurz nach elf. Elfter November. Karnevalsauftakt in Köln. Da schoben die Kollegen vom Wach-und Wechseldienst Sonderschicht.
Sie sah Hellwein wieder an. „Ich wollte meinen Beitrag leisten, damit die Welt nicht völlig in Anarchie versinkt. Aber manchmal meine ich, Chris mit seiner Juristerei bewegt weitaus mehr.“
„Na, er macht ja schon eher Sozialarbeit, nicht?“
„Der Kummerkasten des Straßenstrichs, ja“, kicherte Susanne. Und sie sah dabei aus wie ein junges Mädchen — fand Hellwein jedenfalls.
********
Der Kummerkasten des Straßenstrichs war sofort aus dem Häuschen, als Theo am Mittag anrief. Nach dem üblichen Geplänkel fragte der kleine Mann wie beiläufig: „Sag mal, heute gibt´s Rotbarben in Knoblauchsud. Welchen Wein wollt ihr zwei Hübschen denn dazu trinken?“
Chris hob einen Daumen in Karins Richtung. Aber sie schaute ihn nur verständnislos an. Erst als er in den Hörer sagte: „Klingt nach einem italienischen Abend. Da wäre ein schöner kalter Soave nicht schlecht“, bekam auch sie leuchtende Augen.
In den Genuss von Theos Kochkünsten zu kommen, stimmte sie immer euphorisch. In den vergangenen Monaten hatte sie schon mehrfach an seinen kulinarischen Wunderwerken teilhaben dürfen. Bisher waren das immer nur Freundschaftsessen gewesen. Und als sie ein paar Stunden später in Tinnis Salon saßen, wunderte sie sich, dass die Spielregeln eines „Geschäftsessens“, die Chris ihr erklärt hatte, wirklich strikt eingehalten wurden. Man aß und aß, ohne dass über blaue Autos oder Wohnungen ein Sterbenswörtchen verloren wurde. Das machte sie nervös, aber sie hütete sich, die Spielregeln zu brechen, indem sie eine entsprechende Frage stellte.
Chris hingegen schien völlig gelassen und schwelgte in warmer Hühnerleber auf Feldsalat und später in den besagten Rotbarben, die auf den Punkt in einem Kräuter-Knoblauch-Sud gegart waren. Dazu reichte Theo Baguette, das sich vorzüglich eignete, diesen Sud aufzusaugen.
Über seinem unvermeidlichen Hawaiihemd trug er eine dunkelblaue Schürze, deren Latz mit weißer Spitze bestickt war.
„Wenn du dir jetzt noch ein weißes Häubchen anziehst, gehst du als Minna durch“, stellte Chris grinsend fest.
„Hm, er müsste sich obenrum aber doch ein bisschen ausstopfen, findest du nicht?“, neckte Karin.
In gespielter Empörung strich Theo über die Spitzen auf seiner flachen Brust. „Können ja nicht alle so Titten haben wie meine Venus hier. Gestatten: von Glattbach mein Name.“
Karin und Chris wieherten los. Die Venus grunzte nur und angelte sich noch einen Stapel Baguette-Scheiben aus dem Brotkorb.
Dann unterhielt sie ihre Gäste mit Anekdoten aus der Szene und diskutierte eine Weile mit Chris darüber, ob denn das „Pascha“ im Eros-Center unter der neuen Geschäftsführung Chancen hatte, aus der finanziellen Misere herauszukommen.
„Wenn du mich fragst, geht das nur, wenn sie die Zimmerpreise erhöhen“, meinte Chris. Er öffnete den obersten Knopf seiner Jeans und zog den Reißverschluss ein wenig herunter. Vielleicht passte so doch noch etwas Rotbarbe hinein.
„Da würden die Mädchen aber ganz alt aussehen. Die Zeiten sind mau in der Eurokrise. Die Jungs halten ihr Geld zusammen und gehen nicht mehr so oft in den Puff. Bei steigenden Fixkosten stehen die Mädchen wieder auf der Straße.“
„Ich hab gehört, dass die Freien noch ganz gut verdienen“,
Weitere Kostenlose Bücher