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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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uns hergefallen. Du kannst dir sicher vorstellen, auf welche Weise.“ Sie verzog das Gesicht und kippte das zweite Glas.
    Chris konnte. Nach dem Mord an Claudia hatte man der Polizei genau auf die Finger geschaut und nur auf eine Ermittlungspanne gelauert. Seit gestern nun verbreitete man Lobeshymnen über die Staatsanwaltschaft und die leitende Polizeibeamtin, streute Blumen auf ihr Haupt, weil es so schnell gelungen war, den Täter zu fassen.
    Morgen würde es Asche aus Kübeln regnen. Und dabei spielte es keine Rolle, ob sie mit Ballmann der richtigen Täter hatten oder nicht. Es würde nur darum gehen, dass der Staat es nicht schaffte, die Bevölkerung vor Leuten wie ihm zu bewahren. Chris sah schon die Schlagzeilen der Boulevardpresse vor sich: „Wer schützt unsere Kinder?“
    „Die Annika — was ist das für ein Kind?“, fragte er. „Du hast gesagt, Claudia war ein untypisches Opfer. Wie ist das mit Annika?“
    Susanne nickte bedächtig. „Du hast genau den Punkt getroffen, Chris. Frau Klausen ist zwar alleinerziehend, trotzdem ist Annika allem Anschein nach ein ebenso behütetes Kind wie Claudia es war. Da gibt es einen intakten Familienverband mit Oma und mehreren Tanten, die sich kümmern. Die Mutter ist selbstständige Goldschmiedin und kann sich die Arbeit oft so einteilen, dass Zeit für ihre Tochter bleibt.“
    Eine Weile hing sie ihren Gedanken nach. „Diese Parallele und die Tatsache, dass sie Ähnlichkeit mit Claudia hat, lässt uns das Schlimmste befürchten“, fügte sie schließlich hinzu.
    „Und wie geht´s jetzt weiter?“, fragte Chris dumpf und zupfte nervös an den Fransen des blauen Tischsets herum.
    „Wie üblich.“ Susanne angelte nach der Flasche und goss sich ein. „Wir suchen mit Mann und Maus. Die SOKO Claudia steht in den Startlöchern. Und wenn dieser verdammte DNA-Abgleich endlich käme, wüssten wir wenigstens, was mit Ballmann los ist. Wir haben so gut wie nichts mehr aus ihm rausbekommen. Er heult und flennt nur noch rum. Wenn das so weitergeht, weist der Haftrichter ihn in die Psychiatrie ein und wir hätten auf absehbare Zeit keine Chance mehr, ihn auszuquetschen.“
    Sie kippte den nächsten Cognac und hielt das leere Glas gegen das Licht. „Jetzt brauch ich wohl ein Taxi“, sagte sie dabei. „Schätze mal, wir sind beide nicht mehr fahrtüchtig.“
    „Du schläfst hier“, entschied Chris.
     

Samstag, 17. November
     
    Es wurde eine unruhige Nacht. Chris wälzte sich schlaflos im Bett hin und her, Susanne wanderte im Wohnzimmer herum, wie er an den knarrenden Bodendielen hörte.
    In seinem Kopf drehten sich die Gedanken wie ein Brummkreisel. Ballmann … Annika … falsch … richtig … ein Täter … zwei Täter … Karin … Dann gesellten sich zu den Halsschmerzen auch noch brennende Augen und eine verstopfte Nase. Sein Kopf fühlte sich schwer und schwammig an. Hinter der Stirn stach und pochte es.
    Irgendwann musste er doch eingeschlafen sein, denn der Wecker riss ihn aus dem Tiefschlaf. Er wachte mit dem Gefühl auf, dass etwas Entsetzliches geschehen war. Es dauerte jedoch einen Moment, ehe ihm klar wurde, das es gleich drei entsetzliche Dinge waren: Ein kleines Kind war verschwunden, und Karin hatte ihn im Stich gelassen. Außerdem plagte ihn eine grässliche Erkältung.
    Am liebsten wäre er einfach liegengeblieben. Sich jetzt unter der dicken Decke zusammenrollen und den Knopf finden, der die rotierenden Gedanken und seine laufende Nase abstellte. Natürlich war dieser Knopf nirgends zu finden. Im Gegenteil: Während eines heftigen Niesanfalls traf ihn schlagartig die Erkenntnis, die er gestern verdrängt hatte. Ob Ballmann nun schuldig war oder nicht, der Alptraum ging weiter.
    Begleitet von einem weiteren Niesanfall stand er auf und hüllte sich fröstelnd in seinen Morgenmantel. Hätte er doch bloß nicht beschlossen, heute zu arbeiten! Aber es war in den letzten Wochen so viel liegengeblieben, dass er sogar die Nixe gefragt hatte, ob sie ein paar Stunden kommen konnte. Da ihr Verhältnis die Wochenenden sowieso mit seiner Familie verbrachte, hatte sie ohne Murren zugesagt.
    Chris wühlte in der Nachttischschublade nach Taschentüchern, schnaubte heftig und sah dabei auf die Uhr. Mist! Zu spät für eine Absage. Die Nixe war mit Sicherheit schon auf dem Weg ins Büro.
    Er schlurfte in die Küche, vorbei an zerwühltem Bettzeug auf der Couch, um ein Frühstück auf die Beine zu stellen. Aus dem Bad hörte er Wasser rauschen.
    Weder Susanne

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