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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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setzte hinzu: „Sie ist fünf.“
    Chris hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand einen Eimer kaltes Wasser ins Genick gegossen und seine Gedanken stürzten wild durcheinander. „Das kann doch nicht sein“, platzte er heraus. „Ballmann … ich meine, er hat doch …“
    „Wir haben vom LKA noch keine Bestätigung des DNA-Vergleichs“, unterbrach Susanne ihn. Ein paar Sonnenstrahlen schienen durch die hohen Bäume und malten helle Punkte auf ihr braunes Haar. „Er hat nur gesagt, dass er ihr Eis gekauft hat, aber er hat nicht gestanden, Chris. Er wiederholt zwar ständig, dass er nicht mehr schmutzig ist, aber ob er damit den Missbrauch an Claudia meint, wissen wir nicht. Und seine Wohnung war so klinisch sauber, dass wir dort keine Spuren von Claudia gefunden haben.“
    Sie machte eine lange Pause. Stierte auf den Grabstein vor sich, ohne etwas zu sehen. Dann murmelte sie: „Vielleicht ist er nur ein mieser kleiner Psychopath, der es gern getan hätte!“
    Alles, nur das nicht! „Vielleicht … die Kleine kann in ein paar Stunden wieder da sein.“
    „Nein, Chris!“ Susanne stieß ihre Fußspitze vor die helle Grabumrandung. „Der Kollege, der angerufen hat, ist gerade bei der Mutter … Er hat Fotos gesehen … Er sagt, sie sieht aus wie ein Engel.“
    Zum ersten Mal sah sie Chris an. „Sagst du es Karin? Ich muss jetzt los, aber ich versuche, heute Abend vorbeizukommen.“ Sie legte ihm kurz die Hand auf den Arm und lief mit langen Schritten Hellwein hinterher.
    Wie betäubt ging Chris zurück. „Er hat nicht gestanden“, hallte es in ihm wider. In seiner Euphorie und Selbstzufriedenheit hatte er das völlig verdrängt. Plötzlich fiel ihm eine alte lateinische Rechtsregel ein: confessio est regina probationum. „Das Geständnis ist die Königin aller Beweise.“ Ballmann hatte immer nur von „ihr“ gesprochen, offenbar noch nie das Wort Claudia gebraucht, und wenn der Gentest zeigte, dass er es wirklich nicht war … Er bemerkte Karin erst, als sie unmittelbar vor ihm stand und den Weg versperrte.
    Auf ihren fragenden Blick sagte er nur: „Nicht hier“, und zog sie von den anderen fort.
    „Man hat Ballmann die Kehle aufgeschlitzt“, vermutete auch Karin, als sie ein paar Gräberreihen weiter stehenblieben.
    Chris schüttelte stumm den Kopf und biss sich auf die Lippen. Herrgott, wie sollte er ihr bloß diesen Super-Gau beibringen?
    Sie sah ihn kritisch an und mit einem Mal wurde ihr Gesicht hart und kantig. „Ein Kind?“, fragte sie rau.
    Er nickte. „In Lindenthal. Sie ist fünf!“
     
    Monika bestand darauf, dass sie mit in das kleine Lokal gingen, in dem ein Imbiss vorbereitet war. Sie stellte Karin und Chris der gesamten Familie vor und betonte immer wieder mit Tränen in den Augen, wie viel sie dazu beigetragen hatten, Claudias Mörder so schnell zu fassen. Obwohl die Halsschmerzen quälend und der Kopf schwer wurden, hätte Chris sie am liebsten geschüttelt und angebrüllt, sie solle den Mund halten. Als Wolfgang ihn auch noch zur Seite nahm und wissen wollte, wie es jetzt weiterging, wann gegen Ballmann Klage erhoben würde, hätte er davonlaufen können. Und er brachte es einfach nicht fertig, ihm zu sagen, dass Ballmann vielleicht unschuldig war. Stattdessen versicherte er Wolfgang, sich um baldige Akteneinsicht zu kümmern.
     
    Es war später Nachmittag, als sie endlich wieder in der Piusstraße waren. Karin hängte ihren schwarzen Mantel in den Kleiderschrank und ließ sich aufs Bett fallen. Chris wollte den schweren dunklen Anzug loswerden und wühlte eine Weile im Kleiderschrank nach seinem blaurot gemusterten Lieblingspullover. Aber der war natürlich in Karins Wohnung am Klettenbergpark. Enttäuscht entschied er sich für den grünen mit Rautenmuster. Karin saß immer noch auf dem Bett und stierte aus dem Fenster auf die gegenüberliegenden Häuser mit den trostlos grauen Fassaden.
    „Alles in Ordnung?“, fragte Chris besorgt, als es ihm endlich auffiel.
    „Nichts ist in Ordnung, zum Teufel! Gar nichts!“
    Er ging um das Bett herum und setzte sich neben sie. „Du denkst, wir sind auf den falschen Zug gesprungen“, stellte er leise fest.
    „Was glaubst denn du? Oh ja: Rudolf! Wir waren alle so auf den Namen fixiert, dass wir die Scheuklappen angezogen haben! Verdammt, Chris! Wenn Ballmann es nicht war, ist die Kleine aus Lindenthal vielleicht schon tot!“
    „Karin! Es gibt kaum einen Zweifel an seiner Schuld“, unterbrach er sie und zählte an den Fingern ab.

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