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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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Pfaffe allemal. Da war ihm sein Bruder lieber. Der kannte ihn in-und auswendig und wusste, wie es in seinem Inneren aussah.
    „Guck emol do, Rainer!“, rief sein Kollege Paul Haberlein von der anderen Seite der Absperrung herüber. Er war waschechter Ludwigshafener, bemühte sich aber, hochdeutsch zu sprechen — bis auf dieses „Guck emol do“. Und er sagte es ständig. Wenn bei einer Alkoholkontrolle das Messgerät ausschlug, wenn der Kaffee aus dem Automaten in den Becher lief, wenn sie nebeneinander im Pissoir standen … Schäffke konnte es nicht ausstehen.
    Trotzdem sah er in die Richtung, in die Haberlein gezeigt hatte. Weit draußen auf der ersten Buhne war jemand. Ob Mann oder Frau konnte er auf die Entfernung nicht erkennen. Die Gestalt stand unbeweglich auf dem steinernen Damm und sah in ihre Richtung. Ihr linker Arm war angewinkelt, daran baumelte ein Schirm. Mit der rechten Hand hob sie jetzt etwas an die Augen. Eine Kamera vielleicht.
    „Presse?“, fragte Haberlein und trat neben Schäffke.
    „Keine Ahnung, aber ganz koscher ist das nicht. Hast du dein Fernglas im Wagen?“
    Haberlein nickte und gemeinsam gingen sie zu ihrem Einsatzfahrzeug. Als Schäffke die Ellbogen auf das Autodach gestützt und den Feldstecher scharf gestellt hatte, erkannte er eine Frau, die tatsächlich eine Kamera mit weit ausgefahrenem Objektiv ein ums andere Mal an die Augen hob. Und es war kein Schirm, der da an ihrem Arm baumelte, sondern ein leuchtend blauer Gehstock.
    Er reichte das Glas an Haberlein weiter und murmelte: „Wie wär´s mit Personenkontrolle? Die kommt mir komisch vor.“
    „Meinst du nicht, wir sollten erst Rücksprache halten? Wenn hier was schiefläuft …“
     
    ********
     
    Marlene Breitner fasste in kurzen Worten zusammen, was sie, Maurer, Hellwein und Susanne in den letzten beiden Stunden besprochen hatten. Sie saßen in Maurers großzügigem Büro, das sich im obersten Stockwerk des Präsidiums befand. Die Wände waren in dezentem Pastellgelb gehalten, der Bodenbelag grau und flauschig. Die breite Fensterfront zeigte nach Westen und bot eine atemberaubende Aussicht auf Rhein, Dom und Altstadt.
    Aber keiner der vier hatte einen Blick für das Panorama. In ihren Gesichtern stand Ratlosigkeit, denn nur in einem einzigen Punkt hatten sie Klarheit. Alles andere jedoch brachte mehr Verwirrung als gesicherte Erkenntnisse. Susanne wagte weder eine Analyse noch eine Prognose. Sie wusste nur, dass alles, was sie jemals gelernt hatte, auf den Kopf gestellt war. Dass sie Dinge würde tun müssen, die ihr zutiefst verhasst waren. Dass sie — im Moment jedenfalls — den schlimmsten Job auf der Welt hatte. Sie rutschte unruhig auf dem weich gepolsterten Stuhl herum und zupfte nervös am Bündchen ihres grauen Wollpullovers. Sie wollte nur noch raus hier, sich mindestens zwei Stunden in ihrem Büro verkriechen und erst einmal das Ungeheuerliche verdauen.
    „Ich denke, wir werden die Pressekonferenz nachher so halten wie immer“, sagte die kleine Staatsanwältin gerade. „Keine Details. Ich werde aber deutlich machen …“
    Maurers Sekretärin steckte ihren platinblonden Kopf zur Tür herein. „Entschuldigung. Arnold hat Arnold 5012 für Frau Braun.“
    „Stellen Sie´s hier rein“, sagte der Kripochef und schob Susanne das Telefon über die blankpolierte Tischplatte. Seit Köln endlich über einen digitalen Polizeifunk verfügte, konnten Funkverbindungen ins interne Telefonnetz gestellt werden. Das einzige Relikt aus alter Zeit war „Arnold“, der Funkrufname der Kölner Polizei.
    Susanne sah Hellwein fragend an.
    „Ich glaube, 5012 war für die Absperrung zuständig“, erklärte er müde. Er war mindestens ebenso verwirrt wie die anderen. Und großartig geschlafen hatte er letzte Nacht auch nicht.
    Susannes Blick verdüsterte sich noch mehr. Wenn sie sich jetzt auch noch um die simple Sicherung eines Tatorts kümmern sollte …
    Beim ersten Klingeln hob sie ab und blaffte ihr typisches „Schlechte-Laune-Braun“ in den Apparat. So sehr sie sich auch in den letzten Tagen um ein zugänglicheres Auftreten bemüht hatte, seit heute früh war sie von einer Sekunde zur anderen in ihre alte Verhaltensweise zurückgefallen.
    Sie hörte kurz zu, zischte ein Mal „Verdammt“ und sagte dann lauter in den Hörer: „Sie unternehmen nichts. Ich komme raus.“
    „Es tut mir Leid, ich muss nochmal zum Weisser Bogen“, sagte sie zu den anderen im Raum, als sie auflegte.
    Hellwein war schon fast aus dem

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