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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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Stuhl. Aber sie wies ihn an: „Bleib hier. Ist nur halb dienstlich.“
    „Doktor Sprenger?“ Für Hellwein war „halb dienstlich“ immer Christian Sprenger.
    Aber Susanne schüttelte den Kopf. „Karin Berndorf.“
     
    Als sie den kleinen Auenwald direkt am Rheinufer erreichte, waren nur noch drei Streifenwagen und zwei Fahrzeuge der Spurensicherung vor Ort.
    Karin stand unbewegt am Ende einer langgezogenen Buhne. Von Susannes Standpunkt aus bekam man den Eindruck, als schwebe sie mitten im Wasser. Sie kletterte über die Böschung und ging mit hochgezogenen Schultern auf Karin zu. Der Wind kam von vorn und pfiff eisig. Es dauerte nur Sekunden, bis die Ohren brannten und die Nase lief. Hätte sie sich doch bloß im letzten Winterschlussverkauf für eine Jacke mit Kapuze entschieden.
    Karin schien die Kälte nichts auszumachen. Sie stand sehr aufrecht da, mit der rechten Hand auf ihren Stock gestützt, die linke tief in ihrer roten Daunenjacke vergraben. Von der Schulter baumelte eine kompakte Kamera.
    „Das Auge des Gesetzes lauert überall, was?“, stellte sie fest, ohne den Blick von den kleinen weißen Gestalten zu wenden, die immer noch akribisch den Boden absuchten. Hinter ihr klatschte die Heckwelle eines Tankers gegen die Steine.
    „Was tust du hier, zum Teufel? Die wollten dich schon hoppnehmen!“ Die Kälte hob Susannes Laune nicht gerade.
    „Ah, und? Warum haben sie´s nicht getan?“
    Der aggressive Unterton irritierte Susanne. Sie kannte Karin brummig, aber nicht streitlustig. Sie zog die Nase hoch und fragte mit Nachdruck: „Was soll das, Karin?“
    „Ich wollte es sehen, Susanne. Ich wollte den Ort sehen, an dem ein Kind durch unsere Schuld ums Leben gekommen ist!“
    „Sag mal, was redest du denn da?“
    „Wir waren alle so froh, unseren Rudolf zu haben, nicht?“ Zum ersten Mal sah Karin sie an. Sie hatte Tränen der Wut und vielleicht auch der Verzweiflung in den Augen. „Gestern noch wollte Chris mich überzeugen und hat von einer statistischen Häufung gesprochen. — Mein Gott!“
    Susanne verstand endlich und sagte betont hart: „Es ist eine Art statistische Häufung!“
    „Was?“
    „Vor ein paar Stunden ist der DNA-Vergleich gekommen. Er ist positiv, Karin! Ballmann hat Claudia zweifelsfrei auf dem Gewissen.“
    Karins Augen weiteten sich. „Du meinst, es sind wirklich zwei Täter?“
    Die Kommissarin nickte ernst. „Mit absoluter Sicherheit!“
    Karin schloss die Augen und atmete tief durch. Sie sah plötzlich so verletzlich aus, dass Susanne sie am liebsten in die Arme genommen hätte. Sie dachte an das Fernglas von Arnold 5012 und ließ es sein.
    Stattdessen sagte sie eindringlich: „Karin, komm zu dir! Wir haben richtig gelegen, und niemand muss sich etwas vorwerfen.“
    „Teufel! Und ich dachte …“ Karin fuhr sich mit der Hand über die Augen.
    „Ich auch, Karin. Bis die Meldung vom LKA kam, dachte ich das auch“, gab Susanne zu und wunderte sich, dass sie dieser großen Frau wieder einmal eine Schwäche eingestand.
    „Entschuldige, ich war einfach …“
    „He, wir alle waren durcheinander und sind fast Amok gelaufen“, wiegelte die Polizistin ab. „Woher wusstest du es überhaupt?“
    „Es war in den Elf-Uhr-Nachrichten. `Kinderleiche im Stadtteil Weiss. An einen Baum gebunden´. Ich brauchte nicht lange zu suchen. Euer Aufgebot konnte sich ja sehen lassen.“
    „Verstehe. Tust du mir denn jetzt einen Gefallen und fährst nach Hause?“
    Karin grinste, wenn auch ein wenig gequält. „Worauf du dich verlassen kannst. Ist verdammt kalt hier oben.“
    „Ach nee? Komm, lass uns hier verschwinden! Den Film muss ich dir übrigens abnehmen. Wieso hast du eigentlich fotografiert?“
    „Hab ich doch gar nicht.“ Jetzt grinste Karin wirklich und strich sich eine Locke aus der Stirn, die der Wind sofort wieder an die gleiche Stelle schob. „Ich hab das Teleobjektiv nur als Fernglas benutzt.“
    Wie zwei harmlose Spaziergängerinnen schlenderten sie über den Damm zum Festland. Mit übergroßer Vorsicht kletterte Karin die steile Böschung hinunter. Aber Susanne hütete sich, ihr auch nur die Hand zu reichen.
    Als sie in ihren Wagen steigen wollte, fasste Karin sie am Ärmel und verlangte: „Du hältst mich auf dem Laufenden, ja!?“
    Susanne zuckte zusammen, als hätte ihr jemand einen Eiswürfel in den Kragen gesteckt. Sie kannte diese Geste, und sie kannte diesen Satz. Wie oft schon hatte Chris sie am Ärmel gefasst und genau das gesagt. Und wie oft hatte

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