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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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„Er war oft am Chemischen Institut. Er wohnt in unmittelbarer Nähe des Tatorts. Er hat ihr Eis gekauft. Er ist schwer gestört.“
    Karin rappelte sich mühsam hoch und baute sich vor ihm auf. Alles an ihr strahlte Wut und eine Aggressivität aus, die er noch nie an ihr erlebt hatte.
    „Und was beweist das?“, fragte sie hart. „Doch nicht mehr, als dass er ihr Eis gekauft hat, oder?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, humpelte sie ins Wohnzimmer.
    „Wenn das Ergebnis des DNA-Abgleichs da ist, haben wir den Beweis!“, rief Chris und stapfte hinterher. Sein Hals fühlte sich an wie Schmirgelpapier, der Kopf dröhnte und er mochte nicht zugeben, dass sie Recht hatte.
    „Es ist aber nicht da! Und bis dahin müssen wir annehmen, dass Ballmann der Falsche ist!“, sagte Karin aufgebracht. Sie stand mit zornig funkelnden Kieseln vor dem großen Schrank aus gewachstem Kirschholz.
    „Müssen wir nicht“, antwortete Chris und bemühte sich, ruhig zu bleiben. „Erstens kann die Kleine wieder auftauchen. Zweitens könnten wir es mit einer statistischen Häufung zu tun haben.“
    „Einer was?“
    „Einer statistischen Häufung“, wiederholte er. „Wenn in einer Stadt kurz hintereinander zwei Kinder verschwinden, heißt das noch lange nicht, dass es ein und derselbe Täter sein muss.“
    Eigentlich sollten seine Worte beruhigend wirken, aber sie schienen Karin nur noch mehr aufzubringen. Sie stand schwer atmend da und starrte ihn ungläubig an.
    „Sieh mal, pro Jahr werden in Deutschland etwa hundert Kinder umgebracht“, versuchte er es weiter. „Ungefähr zehn davon fallen einem Sexualverbrechen zum Opfer. Wenn es davon wiederum zwei in Köln erwischt, ist das zwar auffallend, muss aber nichts zu bedeuten haben. Vor ein paar Jahren gab es zum Beispiel so ungewöhnlich viele Fälle in den Neuen Bundesländern, dass man schon an einen Serienmörder dachte. In Wirklichkeit waren es jedoch alles Einzeltaten.“
    „Sag mal — glaubst du etwa, was du da erzählst?“, fragte Karin ruhig. Gefährlich ruhig.
    Tat er nicht, nein. Ganz und gar nicht. Er hatte ihr nämlich nicht alles gesagt. Rein rechnerisch gab es in einer Stadt wie Köln mit einer Million Einwohnern alle sieben bis zehn Jahre einen Fall wie Claudia. Wenn kurz darauf ein weiteres Kind verschwand, das ihr auch noch ähnlich sah, war die Möglichkeit, dass ein zweiter Täter dahintersteckte, allerdings verschwindend gering. Ja, so was ließ sich kaum noch in Zahlen ausdrücken. Und was Chris gerade gesagt hatte, war nichts anderes als das Pfeifen im dunklen Wald. Er wollte gegen die Angst anreden, die sich mehr und mehr in ihm ausbreitete.
    „Karin, jetzt denk doch mal nach!“ Seine Verteidigung stand auf tönernen Füßen.
    „Das tue ich, Chris. Die ganze Zeit schon.“ Sie sah ihn kalt an. „Und ich glaube, du redest Schwachsinn. Wir haben danebengelegen, aber du willst es einfach nicht zugeben.“
    Treffer und versenkt, dachte er bitter. Er war so sicher gewesen. Er war immer sicher, wenn er sich in eine Ermittlung einschaltete, wusste aus dem Bauch heraus, dass die Spur, die er verfolgte, die Richtige war. Musste er sich jetzt zum ersten Mal Vorwürfe machen? Weil ihm die Geschichte zu nahe gegangen war und er folglich keinen Abstand halten konnte? Hatte sein Bauch versagt, weil er keine Gerechtigkeit, sondern einfach nur Rache wollte? Er erinnerte sich noch genau, dass er auf Karins Frage „Todesstrafe, Herr Anwalt?“ am liebsten geantwortet hätte: „Wieso nicht?“.
    In ihm kochte es plötzlich. Die Wut auf sich selbst brodelte förmlich. Nur deshalb schob er Karin den schwarzen Peter zu. „Sei doch nicht so vernagelt, Karin! Es passt alles. Seine Schwester, die an der Uni arbeitet, das Auto, die Nummer, die er auf dem Straßenstrich abgezogen hat …“
    „Ein Kind, das vollgepumpt mit Drogen ist, erzählt uns von einem Typen, wie es wahrscheinlich tausend andere gibt, und schon hat Doktor Sprenger seinen Mörder! So einfach ist das also!“ Auf ihrer feuerroten Stirn hatte sich eine steile Falte gebildet. Sie war mindestens so zornig wie Chris.
    „Glaubst du, jemand der auf Drogen ist, kann keine präzisen Beobachtungen machen?“ Er merkte selbst, dass er immer lauter wurde. Dass die Auseinandersetzung in die falsche Richtung lief. Dass diese dämlichen Halsschmerzen ihn nervten.
    „Du willst es nicht begreifen, oder?“, fragte Karin scharf.
    „Nein, will ich nicht!“ Der pure Trotz.
    Karin humpelte in den Flur und nahm den blauen

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