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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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noch Chris war nach Reden zumute. Sie schwiegen sich an und rührten länger in ihren Kaffeebechern als nötig. Er schmeckte nicht viel vom Kaffee, das Marmeladenbrot klebte am Gaumen, und allein beim Gedanken an eine Zigarette wurde ihm fast übel.
    Als Susannes Handy klingelte, sahen sie sich zum ersten Mal an. In Chris keimte die unsinnige Hoffnung auf, dass man Annika wohlbehalten gefunden hatte, dass sich alles als harmlose Verkettung von Missverständnissen herausstellte, als Kinderstreich, als …
    Susannes aschfahles Gesicht sprach Bände, als sie das Telefon wieder wegsteckte. Sie saß ein paar Sekunden mit geschlossenen Augen da, ehe sie tonlos sagte: „Am Weisser Bogen. An einen Baum gebunden.“
     
    ********
     
    Polizeiobermeister Rainer Schäffke trat fröstelnd von einem Bein aufs andere. Hier unten, so direkt am Rheinufer, zog es wie Hechtsuppe. Da half auch die dicke Unterwäsche unter der Uniform nicht viel. Und jetzt, wo nur noch die innere Sperrung unmittelbar um den Tatort herum zu bewachen war, blieb so gut wie nichts mehr zu tun, außer eben sich die Beine in den Bauch zu stehen.
    Das war heute früh noch anders gewesen. Da hatten sie alles weiträumig abgesperrt, Spaziergänger und Neugierige zurückgewiesen und diese Heerscharen von Polizeifahrzeugen so auf dem engen Weg dirigiert, dass überhaupt ein Durchkommen war. Kurz darauf tauchten auch noch die ersten Pressefritzen auf. Aber Schäffke wusste, wie raffiniert die sich manchmal durchschummelten und behielt sie besonders scharf im Auge.
    Jetzt waren nur noch diese Erbsenzähler vom Labor und der Spurensicherung zugange. Und die würden nicht eher Ruhe geben, bis sie jedes einzelne Blättchen in dem kleinen Auenwald rumgedreht hatten. Er kannte das. Nicht zuletzt von der Sache da im Gremberger Wäldchen. Auch dort war er für die Absperrung verantwortlich gewesen.
    Missmutig sah er zu den in weiße Schutzanzüge gehüllten Gestalten hinüber, die den Boden absuchten. Es war wirklich zum Kotzen. Erst letzten Monat hatte er sich vom Bereitschaftsdienst zum Wach-und Wechseldienst versetzen lassen, weil er keine Lust mehr hatte, bei Demos, Castor-Transporten oder Fußballspielen den Kopf hinzuhalten. Aber er landete ausgerechnet bei der „Springer-Truppe“, die überall da eingesetzt wurde, wo auf den chronisch unterbesetzten Wachen Not am Mann war. Da gab es kein festes Revier, dafür jedoch fast täglich andere Kollegen, andere Abläufe, andere Schwerpunkte.
    Deshalb war er in Gremberg gewesen und musste die Kleine da sehen. Deshalb war er heute hier am Weisser Bogen und musste auch dieses Kind anschauen. Ja, er hatte kaum aufhören können, es anzustarren. Sicher, es war bis zum Hals zugedeckt und das Gesichtchen war sauber, kein Vergleich also zu dem ersten Kind. Trotzdem war ihm sofort die Ähnlichkeit aufgefallen. Das Alter, die blonden Locken.
    Er hätte wetten können, dass sie den Falschen verhaftet hatten. Auch der Braun hatte er heute früh angemerkt, dass sie das Gleiche dachte. Alle dachten das Gleiche! Er hielt die Braun zwar für eine Kratzbürste, aber sie tat ihm trotzdem Leid. Wenn sie Mist gebaut hatte, konnte sie jetzt eigentlich ihren Hut nehmen. Ganz davon abgesehen, dass alle Welt sie verantwortlich machen würde für dieses zweite Kind.
    Schäffke rieb sich die knochigen Hände und hauchte in die Innenflächen. Wenn die vom Labor noch lange brauchten, würde er zum Eiszapfen erstarren. Argwöhnisch betrachtete er die schweren Wolken, die von Osten her über den Fluss trieben. Fehlte jetzt noch, dass es regnete. Die Niederschläge in den letzten Wochen waren heftig gewesen. Da konnte Petrus heute ruhig mal Pause machen, fand er.
    Flussaufwärts stampfte ein hoch mit Kohle beladener Schlepper. Als er vorbei war, klatschten die Wellen an das steinige Ufer und ließen Gischt aufspritzen. Hoffentlich hörte das mit dem vielen Regen wirklich auf, sonst war das nächste Hochwasser abzusehen. Auch so eine undankbare Aufgabe für Polizisten. Da fror man an den hölzernen Notstegen fest und musste ständig mit sensationsgeilen Hochwassertouristen diskutieren, warum sie nicht mal eben einen Blick auf die überschwemmte Altstadt werfen durften.
    Schäffke sah auf die Uhr und beschloss, gleich nach Schichtende zu seinem Bruder zu fahren. Das hatte er auch nach dem Einsatz im Gremberger Wäldchen getan. Irgendwo musste man das ja loswerden. Dieser Seelenheini, zu dem seine Kollegen gelaufen waren, war ihm zuwider. Der komische

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