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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Hagedorn
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die nichts gesagt? Ob die sich schon jemanden angeschaut haben oder so?«
    Ich kramte in meinem Kopf. Nichts zu machen. Ich konnte mich zwar vage erinnern, dass es Momente ohne Chris gegeben hatte. Aber die waren eben genau das gewesen: Momente ohne Chris. Taktische Auszeiten, kleine Rückzugsmanöver.
    »Tut mir leid«, ich hob bedauernd die Hände, »auf der Party war ich nun wirklich anderweitig beschäftigt.«
    Anna nickte langsam. Mit einem langen Löffel fischte sie nach dem letzten Rest ihres honigduftenden Getränks.
    »Stimmt ja«, sagte sie, »das blonde Babyface.«
    Schon wieder dieses Wort. Nur diesmal konnte ich nun wirklich nichts dafür.
    Außerdem hatte sie unrecht. Chris war jungenhaft, aber kein Babyface. Auch wenn er sich nicht meldete – und nie wieder melden würde –, wollte ich so etwas nicht auf ihm sitzen lassen. Fiel schließlich auch auf mich zurück.
    Ich hatte vielleicht keinen besonderen Ruf mehr zu verlieren, was die Anzahl meiner Männergeschichten anging. Aber wenigstens den guten Geschmack wollte ich mir nicht absprechen lassen.
    Während ich gerade zu einer flammenden Verteidigungsrede ansetzen wollte, rutschte Anna von ihrem Stuhl und murmelte etwas von »Tee wegbringen« und »kleine Mädchen«. Ich schloss meinen Mund wieder und blickte aus dem Fenster.
    Zwei Meter von mir entfernt parkte ein buntes Auto am Bordstein, auf dessen Fahrertür ein lachender Buddha gemalt war. Zwinkerte der mir etwa zu?
    »Was willst du denn schon wieder?«, flüsterte ich lautlos. »Och«, Buddhas Grinsen wurde noch breiter, »ich dachte, das ist eine schöne Möglichkeit, dir was zu zeigen.«
    Ich starrte verständnislos nach draußen. Ein paar Regentropfen liefen quer über die Scheibe.
    »Weißt du«, sagte Buddha vergnügt, »jeder lebt in seiner eigenen Welt. Trotzdem sind wir alle Teil des Unteilbaren, Einen, Göttlichen.«

    Jetzt ging jemand um das Auto herum und öffnete die Beifahrertür. Der Jemand warf eine Tasche auf den Beifahrersitz, dann wechselte er wieder zur Fahrerseite.
    Wollte mich Buddha jetzt mit einem neuen Kerl verkuppeln, oder was?
    Für einen kurzen Moment blickte der Typ durch die Glasfront des »Delhi Deli«, mir direkt in die Augen.
    Mich traf der Schlag. Nicht unbedingt der ganz große, kosmische. Doch auch nicht der ganz kleine, den ich immer bekam, wenn ich mich auf das Kunstfaser-Plüschsofa bei Melli setzte. Schon so ein amtliches Mittelding.
    Mein lieber Scholli, dachte ich.
    Andere Mütter haben in der Tat schöne Söhne, dachte ich.
    Shanti, Shanti, Shanti, dachte ich.
    Dann schämte ich mich.
    Okay, da draußen stand ein ausgesprochen attraktiver Typ mit kahl rasiertem Charakterkopf, intensivem Blick und schönen breiten Schultern. Geschenkt.
    Nur dafür, dass ich erst vor ein paar Tagen die Liebe meines Lebens gefunden und wieder verloren hatte, fand ich mich ein bisschen zu empfänglich für solche Reize. Und außerdem wusste man bei diesen Glatzentypen nie so genau, woran man war. Fünfundneunzig Prozent freiberufliche Grafiker, fünf Prozent Neonazis.
    Gab es eigentlich auch Neonazis, die als Grafiker arbeiteten? Und fuhren sie möglicherweise im Buddhamobil spazieren?
    Die wichtigste Frage: Hatte der Typ mich überhaupt wahrgenommen oder einfach nur zufällig in meine Richtung geschaut?
    »Na, wie guckst du denn?« Anna war zurückgekommen und schwang sich wieder neben mich auf den Barhocker.
    »Ach, nichts«, ich winkte ab, »bloß ein bisschen Bordsteinkino. «
    Aus dem Augenwinkel sah ich noch, wie der Glatzkopf ins Auto stieg, und ich versuchte das Kennzeichen zu lesen. Alter Reflex, wahrscheinlich zurückzuführen auf eine Fernsehkrimi-Überdosis in den frühen Neunzigerjahren. Leider war es zu dunkel draußen, und
es ging zu schnell. Nur dass die Buchstabenfolge auf OM endete, konnte ich erkennen.
    Zufall? Schicksal? Einfach nur blöd?
    Im Abfahren meinte ich wieder, Buddhas Stimme von draußen zu hören. »Gott schenkt uns nicht das, was wir uns wünschen. Er schenkt uns das, was gut für uns ist.«
    Markige Sprüche von sich geben und dann abhauen, bevor ich eine Chance hatte, ihn zu fragen, was das nun wieder sollte. Typisch.
    Buddha war eben auch nur ein Mann.

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    Salabhasana (die Heuschrecke) hilft dabei, unseren wahren Willen zu erkennen und ihn kraftvoll auch gegen Widerstände durchzusetzen.

    Wer den spirituellen Weg beschreitet, ist zunächst einmal eines: ein Suchender. In den nächsten Wochen jedenfalls musste ich ständig

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