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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Hagedorn
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Schlange am unteren Ende ihrer Wirbelsäule lang machte, als Power-Pfeil durch die Energiekanäle sauste und die oberen Körperchakras anheizte. Oder hieß es Chakren? Egal – vor ein paar Wochen hatte ich noch nicht einmal gewusst, dass es diese geheimnisvollen Energiepunkte im Körper gab, geschweige denn, dass sie einen Namen hatten. Da war es vielleicht nicht so wichtig, wie der richtige Plural lautete.
    In der Mitte der Gruppe saß ein Mann mit weißer Haremshose und blauem Turban. Im Gesicht hatte er einen Vollbart, um den ihn jeder kanadische Holzfäller beneidet hätte, an den Fußsohlen eine Hornhaut, die sämtlichen Fußpflegern in Deutschlands Ballungsgebieten über Jahre ein sicheres Auskommen beschert hätte.
    Immerhin: Nach dieser Stunde schloss ich sogar eine Art Frieden mit meinen eigenen Füßen. Und wenn nicht Frieden, dann wenigstens Waffenstillstand.

    Ganz zum Schluss umarmten sich alle und hielten die Stellung ziemlich lange. Ich war mir nicht ganz sicher, ob das auch noch zum Yogaprogramm gehörte oder ob der soziale Teil schon angefangen hatte. Nadine hatte sich zielsicher den einzigen von drei Männern gegriffen, der einigermaßen attraktiv aussah, und schmiegte sich freudig an ihn. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie unter irgendwelchen Energieblockaden litt. Warum auch immer, aber ich hatte das deutliche Gefühl, dass diese Form des Yoga meine Probleme auch nicht lösen würde.
    Als ich an dem Abend mit meiner Mutter telefonierte, machte ich einen fatalen Fehler: Ich erzählte ihr davon.
    Natürlich wusste sie besser, was gut für mich war. War ja schließlich meine Mutter.
    »Kundalini!«, sie war entzückt. »Das ist genau das Richtige für dich! Ich habe dir schon immer eine Technik gewünscht, die deine Blockaden löst!«
    »Du kennst Kundalini Yoga?«, fragte ich und wunderte mich über mich selbst. War ja klar. Bachblüten, Globuli, Reiki – meine Mutter war Expertin für alle Disziplinen, die sich mit Pluderhosen aus fair angebauter Biobaumwolle und Lederkettchen mit Delfinanhängern vertrugen.
    »Ach, Herzchen«, sie seufzte ins Telefon, »wenn es das nur schon gegeben hätte, als ich damals mit dir schwanger war!«
    »Was wäre denn dann gewesen?«
    »Ich hätte meinen Energiefluss ganz anders steuern können! Es wäre niemals zu diesem Kaiserschnitt gekommen!«
    Ich hielt den Hörer ein Stück von meinem Ohr entfernt, ich wusste, welche Geschichte jetzt kam. Meine Mutter hatte sie mir schließlich wieder und wieder erzählt. Seltsam. Es gab in der Tat so einiges, was ich ihr vorzuwerfen hatte, aber dass mir ein Chirurg auf die Welt verholfen hatte, gehörte nicht dazu. Sie hingegen marterte sich seit Jahren mit Selbstvorwürfen. Alles, was in meinem Leben jemals schiefging – scheiternde Affären, meine zweifelhafte Abinote, sogar ein misslungener Urlaub mit Melli – schob sie auf die Umstände meiner Geburt. Fast schon wieder rührend.

    Dass mein Vater einfach abgehauen war und das auch noch ausgerechnet am Vorabend meiner praktischen Führerscheinprüfung, zog sie gar nicht als Quelle meiner Probleme in Betracht. Auch nicht, dass er monatelang auf keinen unserer Kontaktversuche reagiert hatte. Später hatte er sich wortreich entschuldigt und immer wieder von einem »radikalen Cut« gesprochen, den er gebraucht hatte. Dass er mich damit gleich mit abgeschnitten hatte, das war ihm zu spät aufgefallen. Dagegen fiel es kaum ins Gewicht, dass ich danach gleich drei Anläufe für den Führerschein gebraucht hatte.
    »Du bist viel zu abrupt von mir getrennt worden«, jammerte meine Mutter weiter, »deshalb hast du solche Probleme zu vertrauen. Dich fallen zu lassen.«
    »Im Gegenteil«, widersprach ich, »ich lasse mich ja schon fallen, wenn nur jemand das Wort Sprungtuch ausspricht. Statt mal nachzuschauen, ob überhaupt eines da ist. Deshalb falle ich ja auch so oft auf die Nase, vor allem bei den Männern.«
    »O doch«, meine Mutter trumpfte auf, »natürlich hast du ein Vertrauensproblem. Es ist dir nur nicht bewusst.«
    Das war das Ärgerliche an meiner Mutter: Man konnte nur verlieren. Am besten, man gab gleich zu, dass sie es besser wusste. Gab man es nicht zu, lag das nur am inneren Widerstand, Verdrängung und einem mangelhaften Einblick in das eigene Unbewusste. Wo sie sich natürlich auskannte wie in der Tasche ihrer handgewebten Öko-Baumwoll-Körpererfahrungshose.
    »Na gut«, sagte ich, »dann habe ich eben ein Vertrauensproblem. Und meine Ruhe.«
    »Sag mal«,

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