Mantramänner
ausgesehen wie Deutschland.
Oben norddeutsche Tiefebene, unten mittelgebirgig bis voralpin.
Das Pärchen am Tresen zahlte. Der Verkäufer reichte dem Mann eine knisterdünne Plastiktüte mit schweren Aluschalen und das Wechselgeld. Die Frau hatte ihren Kopf gegen die Schulter des Mannes gelehnt und ihren Daumen in seine Potasche gehakt, als wäre es ihre eigene. Ich wunderte mich, warum sie überhaupt etwas zu essen
holten. So wie die aussahen, waren sie noch in jener Phase der Verliebtheit, in der ein menschlicher Körper keinerlei Bedarf an fester Nahrung hat.
Obwohl, meistens betraf das ja nur die Frauen. Männer konnten sogar ein herzhaftes Wurstbrot verspeisen, während sie ihrer Freundin einen Heiratsantrag machten. Hatte ich mir jedenfalls sagen lassen.
Ich holte mir ein Kingfisher-Bier und eine Portion gefüllte Teigtaschen, die beiden Spezialitäten der indischen Küche, mit denen ich mich halbwegs auskannte. Vor allem mit dem Bier, das war lecker. Anna nippte noch immer an ihrem Tee.
»Also, ich wollte dich ja was fragen«, begann Anna und beugte sich vertraulich zu mir herüber. Dann blickte sie sich um, als müsste sie sichergehen, dass kein anderer etwas mitbekam. »Es ist wegen Samstagabend«, flüsterte sie, »wegen der Sunny Side Party.«
Das überraschte mich nicht. Eher, warum Anna so ein geheimnisvolles Brimborium drum herum machte.
Gut, sie war nicht so direkt wie Nadine. Wenn die hier gesessen hätte, wäre mir schon vor der Begrüßung ein herzliches »Na, habt ihr oder habt ihr nicht?« entgegengeschmettert worden. Aber Flüstern war nun auch wieder übertrieben. Es war ja nicht so, dass die Nacht mit Chris ein Geheimnis gewesen wäre. Ich hatte nichts zu verbergen.
Aber vielleicht er?
Ich erstarrte. Wusste Anna etwas, das ich nicht wusste? Vielleicht war Chris überhaupt nicht Single. Sondern gerade Vater von Zwillingsbabys geworden, nachdem seine Frau und er in einer langjährigen, quälenden Reihe von künstlichen Befruchtungsversuchen, die ihre Liebe jedoch nicht geschwächt, sondern nur umso stärker …
Verdammt. Ich hatte das B-Wort schon wieder gedacht. War wohl noch nicht so weit her mit meiner inneren Gelassenheit. Auch wenn ich beim Meditieren schon auf der Gestrüppebene angekommen war.
»… intern ausschreiben oder auch extern?«
Bitte, wie? Ich schüttelte verwirrt den Kopf, um meine wolkigen Gedanken auszulüften. Wovon redete sie da?
Ein Strahlen erhellte Annas Gesicht, tiefe Grübchen bohrten sich in ihre Wangen. Jetzt war sie es plötzlich, die um Jahre verjüngt aussah.
»Nein?« Ihre Zähne blitzten. »Du meinst, die machen das ohne offizielle Stellenanzeige? Dann hab ich ja beste Chancen, glaubst du nicht?«
Offensichtlich hatte ich etwas Entscheidendes verpasst, konnte jetzt aber schlecht zugeben, dass ich bei ihren ersten Sätzen überhaupt nicht zugehört hatte.
»Wenn nicht du, wer dann«, gab ich im Brustton der Überzeugung von mir und nahm dann einen so kräftigen Zug aus der Kingfisher-Pulle, dass der Schaum aus dem Flaschenhals quoll.
»Ja, oder?«, Anna strahlte und strich sich das Revers glatt. »Das hat meine Trainerin auch immer gemeint, beim Coaching. Dass ich ein verborgenes Kommunikationsgenie bin. Ist zwar nur die Schwangerschaftsvertretung, aber wenn ich mich da erst mal eingearbeitet habe, dann findet sich ja vielleicht auch eine Follow-up-Lösung, was meinst du?«
Im Geist legte ich die Hände zusammen, neigte den Kopf und legte die Fingerspitzen an den Punkt zwischen meinen Augenbrauen. Vielen Dank für den Hinweis, liebes Universum. Jetzt konnte ich mir zusammenreimen, worum es ging.
Anna wollte die neue IPS werden.
Komisch, dass ich mir noch gar keine Gedanken darüber gemacht hatte. Pressesprecherin war nun wirklich kein übler Job: Gut bezahlt, und bei Journalistenreisen durfte man auch mit. Allerdings, so hatte ich mir sagen lassen, brauchten die Pressefrauen aus der Touristikbranche auch ein spezielles Nahkampftraining. Schließlich mussten sie angemessen reagieren, wenn nachts um eins der Chefredakteur des Hintertupfinger Generalanzeigers schwer atmend an die Hotelzimmertür klopfte und intensive kommunikative Betreuung verlangte.
Anna würde ich das zutrauen. Nicht nur die intensive kommunikative Betreuung, vor allem auch den diplomatischen Kommunikationsabbruch.
»Und was hat das jetzt mit Samstagabend zu tun?«, fragte ich.
»Na, du standest doch die ganze Zeit mit der Assistentin von der Seitermann am Büfett. Hat
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